Bataclan – Wir wollen gehen im Licht JHWHs!

Predigt in der Vesper zum 1. Advent, Mainz 28. November 2015

Man nannte ihn den Mozart der Champs-Élysées: den im Kölner Judenviertel aufgewachsenen deutsch-französischen Musiker und Cellisten Jakob/Jacques Offenbach. Seine Musik sprühte vor brillanter Intelligenz und parodistischem Witz, von feinsinniger Ironie und bissiger Satire. Seine Partituren waren ein Drahtseilakt: sie balancierten zwischen Melancholie und Posse, wehmütiger Romantik und tänzerischer Ausgelassenheit. Zu seinen erfolgreichsten Stücken gehören „Hoffmans Erzählungen“, der Einakter „Les deux Aveugles“ und natürlich „Orpheus in der Unterwelt“ mit dem wilden „Galop infernal“, dem mitreißenden „Can-can“. Offenbach verstand es, auf Umstände, Personen und Sitten seiner Zeit anzuspielen: frech, desillusionierend und komisch-sentimental hielt er der applaudierenden Menge den Spiegel vor – ein musikalischer Karikaturenzeichner. Vor genau 160 Jahren, im Dezember 1855, brachte Offenbach in Paris ein Stück auf die Bühne, das zwar für seinen besten Einakter gehalten wird, dessen Titel jedoch kaum bekannt wurde. Nun wird er für immer im Gedächtnis der Geschichte verankert bleiben, erhielt doch das kleine bunte Theater mit seiner orientalisch anmutenden Architektur von Offenbachs „Musiquette“ seinen Namen: Ba-ta-clan.

Liebe Schwestern und Brüder, nach den Terroranschlägen am 13. November in Paris, bei denen im Unterhaltungsetablissement Bataclan über hundert Menschen getötet wurden, verstummte die Welt. Fassungslosigkeit, Ängste und Sorgen modulieren seitdem in täglich neue Tonarten. Man verliert zunehmend den Überblick, kommt aus dem Takt, der Ansatz – politisch, ethisch wie religiös, wird unsauber. Vorurteile wuchern. Ein beständiger Schatten liegt lastend auf den Schultern, der gewohnte Rhythmus des öffentlichen Lebens gerät aus den Fugen. Viele Länder versuchten, gegen die plötzliche Finsternis Licht zu machen: sie illuminierten die Wahrzeichen ihrer Hauptstädte in blau-weiß-rot, stellten Denkmäler in das Licht der französischen Trikolore.

Das Wort des Propheten Jesaja (Jes 2,1-5), das wir eben gehört haben, beleuchtet das Wahrzeichen der Bibel: den feststehenden Berg mit dem Haus JHWHs. Jesaja spricht nicht von der Behaglichkeit der vorweihnachtlichen Zeit. Die adventliche Dimension des Textes erschließt sich erst dem zweiten Blick. Jesajas Vision intoniert eine Szenerie, die inmitten einer chaotischen Weltlage die Perspektive auf das Heilshandeln Gottes hin lichtet. Die Zeitbestimmung „in zukünftigen Tagen“ (Jes 2,2) zeichnet die Vorzeichen in die Ouvertüre, die sich nicht erst in der fernen, eschatologischen Vollendung auflösen werden. Die in Aussicht gestellte Wallfahrt der Völker zum Berg Zion verweist auf eine Zukunft, die dem Heute entspringt. Der adventliche Mensch verkriecht sich nicht in seiner Not, er weiß der Bedrängung des Lebens standzuhalten, indem er sich der Verheißung und dem Segen des kommenden Gottes anheimgibt und sich inner- und äußerlich aufmacht. Die erlittenen Erfahrungen, das Erleiden von Terror, Verfolgung und Krieg werden so als Gottesbedürftigkeit durchsichtig. Die Worte des Propheten Jesaja helfen zu verstehen, dass der Mensch für sich allein keine Erfüllung finden kann, keine Zufriedenheit, keinen Frieden. Doch der Advent beschreibt mehr als die Bedürftigkeit unserer Welt – Advent ist vor allem die Verheißung einer Antwort: „Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg“ (Jes 2,4). Vor dem Jubel der Weihnacht („Du erregst lauten Jubel und schenkst große Freude, … Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft lieht auf seiner Schulter; man nennt ihn Wunderplaner, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens.“ Jes 9,2.5) steht die Stille des Advents, die dazu einlädt, den Verheißungen Gottes wachen Herzens zu trauen. Advent ist Verheißung, nicht Erfüllung. Advent ist die gläubige Gewissheit, dass Gott der brutalen Machtausübung ein Ende setzen, „Joch“, „Last“, „Stock“ und „Stab“ (Jes 9,3) der Gewalttätigen zerbrechen wird.

Offenbachs Bühnenstück karikiert sowohl den bizarren Militarismus seiner Zeit als auch die zweifelhaften Zustände am Kaiserhof. Sozial-kritisch lässt er auf humorvolle Weise den Ba-Ta-Clan-Marsch erschallen und überzeichnet so die repräsentationslüsterne napoleonische Diktatur. Ein verschmitzter Spott, der militärische Paraden – die hochgeschnürten, dröhnend daher stampfenden Stiefel (Jes 9,4) – raffiniert parodiert. Doch das Finale des Einakters mündet nicht in einer großen Lachnummer. In der Schlussszene, dem Gebet der zum Tode verurteilten, greift Offenbach das Motiv des Chorals „Ein feste Burg ist unser Gott“ von Martin Luther auf – im Kontext seinen Stückes eine erneute Parodie, im Angesicht der Anschläge vom 13. November ein bewegender Schlussakkord, bevor im Bataclan – der Vorhang fällt.

Auf dem Zion ist das Stück damit längst noch nicht beendet. Hier werden die Waffen umgeschmiedet in Pflug und Winzermesser für Ackerbau und Weinlese. Man achte auf die subversive Kraft der Bilder, höre aufmerksam auf Ober- und Untertöne: entwaffnend ist nicht die Höhe des Berges, sondern dass Gott beschlossen hat, hier bei den Menschen zu wohnen. Und dieses Mit-Sein zieht die verschiedenen Nationen nicht nur an, sondern es einigt sie im gemeinsam Streben. Ja, mehr noch: „die Völker machen sich auf den Weg und sagen: Kommt doch, … Er [Gott] lehre uns von seinen Wegen, dass wir gehen in seinen Pfaden.“ Die Sehnsucht nach der Weisung (der Tora) des Herrn wird die zerstrittenen Geschwister darin unterrichten und buchstäblich motivieren, wie sie den Frieden realisieren können. „Hört das Wort JHWHs! Horcht!“ (Jes 1,10). Die Initiative zum Frieden, die dann von den Völkern selbst ausgeht, ist bereits Frucht dieser entschiedenen Ausrichtung und Hinwendung: „Wir wollen gehen“, sagt der Prophet Jesaja, „wir wollen gehen ihm Licht JHWHs“ (Jes 2,5). Verständen wir es, uns, unser Geschick und unsere gegenwärtige Zeit in das Geheimnis dieses Lichtes zu stellen, dass nicht wir es anstrahlen, sondern auf das es uns erleuchten, neu entzünden und durchdringen möge.

„Brennt Paris schon?“, diese Frage stellten nicht die jüngsten Attentäter, sondern die deutschen Terroristen, die im August 1944 die französische Hauptstadt mit einer totalen Zerstörung einem Trümmerfeld gleich machen wollten. Doch: Aus Feinden können Nachbarn und Freunde werden, wir dürfen und müssen das dankbar und hoffnungsvoll bezeugen. Adventliches Dasein weiß, dass Gott es liebt, Begegnung zu feiern, die Freude wahrhaft gotterfüllter Freiheit wachsen zu lassen. Gerade deshalb sind in diesen Tagen Begegnungen so wichtig: wo Menschen einander in die Augen schauen, das Leben teilen, religiöse Traditionen pflegen, von- und miteinander lernen, einander gut und willkommen heißen, da können Ängste das Klima nicht vergiften.
Der Schlussakkord in Offenbachs Bühnenstück ruft uns mit Luthers Choralmotiv „Ein feste Burg ist unser Gott“ Worte aus Psalm 46 in Erinnerung: „Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Erde auch wankt … Völker toben … Kommt und schaut die Taten des Herrn … Er setzt den Kriegen ein Ende, bis an die Grenzen der Erde, er zerbricht die Bogen, zerschlägt die Lanzen, im Feuer zerschlägt er die Schilde. Der Herr ist mit uns.“

Der Herr ist mit uns – das ist sein Name: Emmanuel. Ja, komm, Herr Jesus!
Amen

Sr. Raphaela Brüggenthies OSB