Für das Kloster Montecassino baute Benedikt zwei Kirchen. So erzählt es Papst Gregor. Eine für die Mönche zu Ehren des heiligen Martin und eine zweite zu Ehren des heiligen Johannes für die Bevölkerung der Umgebung. Die Kirchen seien ihm wichtig gewesen für die Bekämpfung des Heidentums und für seine Bemühung, die Menschen „zum Glauben zu rufen“. So ist es nicht verwunderlich, dass er auch in der Regel auf das Oratorium zu sprechen kommt, im Kapitel 52. „Das Oratorium sei, was sein Name besagt, ein Haus des Gebetes. Nichts anderes werde dort getan oder aufbewahrt.“ Nun könnte man erwarten, dass Benedikt nach dieser grundsätzlichen Feststellung etwas über die Einrichtung und die Gestaltung der Kirche sagt. Stattdessen spricht er über den Bruder, der vielleicht für sich allein dort beten möchte. Ein solcher Bruder soll nicht gestört werden; dazu ermahnt er nachdrücklich. Das Gebet des Einzelnen ist ihm also sehr wichtig. Dazu ermutigt er: „Wenn ein Bruder still für sich beten will, trete er einfach ein und bete.“ Lateinisch heißt es ebenso schlicht: simpliciter intret et oret.

Der Einzelne zählt

Das lenkt unseren Blick auf das persönliche Beten. Es war damals eine fast allgemeine Überzeugung der Seelsorger, dass das persönliche Beten die Grundlage dafür sei, in rechter Weise am gemeinsamen Beten, also am Gottesdienst der Gemeinde und an der Feier der Sakramente, teilzunehmen. Es war eine Erfahrung, dass ohne dieses Tun des einzelnen die Gefahr besteht, dass das gemeinsame Sprechen und Singen zu einem ausgetrockneten Ritual wird.

Im Kapitel 58 über die Aufnahme neuer Brüder lässt Benedikt nicht prüfen, ob der Neue den richtigen Glauben hat und ob er sich am Leben seiner Heimatgemeinde und an deren Gottesdiensten eifrig beteiligt hat, sondern er sagt: „Man achte sorgfältig darauf, ob der Neue wirklich Gott sucht.“ Damit meint er, ob der oder die Neue ein Mensch ist, der betet. Wer Gott wirklich sucht, der betet. Benedikt kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob jemand bereit ist, über Gott zu sprechen, sondern ob er sich schon persönlich Gott zugewandt hat. Diese Haltung des einzelnen ist für ihn eine Voraussetzung dafür, dass der oder die Neue sich in die Gemeinschaft des Klosters einleben kann.

Weil Benedikt offensichtlich das persönliche Beten so wichtig ist, setzt er auch den Raum der Kirche dafür ein: Das Oratorium als Bauwerk soll eine Einladung zum persönlichen Beten sein.

Beten und Raum

Es lohnt sich vielleicht, etwas über den Zusammenhang zwischen Raum und Gebet nachzudenken. Überall kann jemand beten; das ist richtig. Benedikt sagt dazu: „Überall ist Gott gegenwärtig.“ Doch fügt er hinzu: „Das wollen wir ohne Zweifel ganz besonders glauben, wenn wir Gottesdienst feiern“ (Kapitel 19). Diese verdichtete Gegenwart des Herrn haftet bildlich gesprochen am Raum. So ist der Raum einer Kirche eine Erinnerung an Gott. Das gilt bei guter Architektur auch für das Bauwerk von außen betrachtet, selbst in unseren Lebensverhältnissen.

Man könnte die Anregung Benedikts, „er trete einfach ein …“, in unterschiedlicher Weise aufgreifen. Wem zum Beispiel das persönliche Beten abhandengekommen ist, kann damit beginnen, dass er an einen Ort des Gebetes geht. So etwas Körperliches bindet die Aufmerksamkeit. Man könnte von Zeit zu Zeit eine bestimmte Kirche aufsuchen, ohne dass dort ein Gottesdienst stattfindet. Wenn man sich dann hinsetzt und sein gegenwärtiges Empfinden von sich selbst wahrnimmt und dies Gott anvertraut, ist das Beten, auch wenn das alles ohne Worte geschieht.

Für die Verbindung von Beten und Raum gibt es noch weitere Gelegenheiten. Auf Reisen besichtigt zum Beispiel jemand eine Kirche. Er könnte als erstes sich hinsetzen, ruhig werden und seine Gedanken auf Gott ausrichten; denn davon spricht der Raum.

„Kulträume öffnen sich für Touristen“, liest man in einschlägigen Magazinen. Bei touristischen Kirchenführungen könnte man den, der die Erklärungen gibt, bitten: „Könnten wir bitte erst einen kurzen Moment der Stille halten?“ Dieses Zeichen der Ehrerbietung ist wie ein kurzes Gebet.

Einfach beten

Benedikt gibt wenig Hinweise zur Art und Weise des persönlichen Betens. Er steht da selbst in einer damals lebendigen Tradition. Lautes Beten und viele Worte hat er nicht gern. Es kommt ihm auf die Regungen des Herzens an. Er bete „mit wacher Aufmerksamkeit des Herzens“ (lateinisch intentio cordis, wörtlich übersetzt: Zuwendung des Herzens). Außerdem weist er auf die Demut hin. Dafür verwendet er den Ausdruck „unter Tränen“, das heißt: im Bewusstsein der eigenen Schwäche, wie der Zöllner im Evangelium.

Fünf Dinge sind für das persönliche Beten wichtig.

  1. Beten ist sich Zeit nehmen.

Man kann überall beten, aber wenn man richtig als ganzer Mensch mit Jesus in Kontakt kommen möchte, muss man innehalten und die Verpflichtungen und Tätigkeiten des Alltags abschalten.

  1. Beten ist ganz Da-sein.

Hinschauen auf das eigene Leben – mit allem, was vorkommt. Die Gedanken zur Ruhe kommen lassen. Einfach da sein.

  1. Beten ist hören.

Sich auf Jesus ausrichten, einfach an ihn denken. Auf die innere Stimme im Herzen Hören, durch die Jesus sprechen kann.

  1. Beten ist sprechen.

Zu Jesus sprechen in der Überzeugung, dass er hört. Danken oder bitten oder gerade das sagen, was jetzt wichtig ist.

  1. Beten ist wissen.

Beim Beten sehe ich mein Lebens anders: Es wird mir bewusst, was wichtig ist und was zweitrangig ist. Es wird mir immer deutlicher, worauf es im Leben ankommt.

Es ermutigt uns Mönche und Nonnen, wenn wir sehen, dass immer wieder einzelne Besucher in die Kirche unserer Klöster gehen und dort verweilen. Sie besichtigen die Kirche nicht, sondern sind einfach ruhig da. Anscheinend gibt es einen Kontakt zwischen dem Raum mit seiner Botschaft und ihrer Seele.

 

Von Athanasius Polag OSB, Trier/Huysburg

Der Monat November ist von alters her ein Sinnbild für die Vergänglichkeit des Lebens. Die Natur wirft ihre Blätter ab und bereitet sich auf den Winter vor, und auch wir Menschen sind in dieser eher dunklen Jahreszeit verhaltener und nachdenklicher als sonst. Nicht umsonst liegen die Tage des Totengedenkens, das Allerheiligen- und Allerseelenfest und der Totensonntag im November. Gottlob ist es hierzulande immer noch weit verbreiteter Brauch, an diesen Tagen die Gräber zu besuchen. Das ist gut so, denke ich, denn es ist ein Zeichen dafür, dass wir tief im Inneren spüren, dass die Verstorbenen damit auch ein Stück weit in unserer Mitte lebendig bleiben. Deshalb ist der Friedhofsbesuch auch so wichtig – nicht für die, die uns vorausgegangen sind, wohl aber für uns selbst. Wir brauchen die Erinnerung, um zu wissen, worauf wir stehen und um weitergehen zu können in die Zukunft. In unserer Ordensregel, die Benedikt von Nursia vor inzwischen fast 1500 Jahren niederschrieb und nach der wir heute noch unser Leben ausrichten, steht ein Satz, der mir im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden und mein Leben geprägt hat. Er findet sich im vierten Kapitel, das mit dem Titel „Die Werkzeuge der geistlichen Kunst“ überschrieben ist und insgesamt 74 sehr konkrete Hinweise gibt, wie sinnvolles Leben gelingen kann. Der kurze Satz lautet: „Den möglichen Tod täglich vor Augen haben.“ Ein solches Wort mag erstaunen, zumal in einem Buch, das ganz dem Leben zugewandt ist und das Leben „in Fülle“ vermitteln will. Gehen wir dem Gedanken ein wenig nach: den möglichen Tod täglich vor Augen haben. Ganz sicher nicht gemeint ist damit, sich das vielfache Sterben und die unzähligen Toten eines Tages über den Bildschirm ganz buchstäblich täglich vor Augen zu führen und in die eigenen vier Wände zu holen. Solche Art „Memento mori“, wie das die Alten nannten, lässt innerlich eher abstumpfen, macht gefühllos und lässt uns am Ende kalt, wenn ein Mensch neben uns stirbt. Nein, der heilige Benedikt hat etwas anderes gemeint: den eigenen Tod, die eigene Endlichkeit nicht verdrängen, sondern ihr offen ins Auge blicken. Jeder Tag meines Lebens kann der letzte sein. Dieses Bewusstsein macht mich keineswegs depressiv, sondern im Gegenteil frei und unabhängig – unabhängig davon, etwas erreicht zu haben, jemand zu sein, viel zu haben. Leben im Wissen darum, dass jeder Tag der letzte sein kann, lässt mich anders leben: dankbarer, aufmerksamer für die kleinen und schönen Dinge des Alltags, aufrichtiger den eigenen Schwächen und Macken gegenüber, ja am Ende sogar friedliebender und menschenfreundlicher den anderen gegenüber. Insofern ist der Tod ein gutes Korrektiv für das Leben. Nutzen wir das Allerheiligen- und Allerseelenfest einmal zu einer solchen im wahrsten Sinne des Wortes weltverändernden Art „Memento mori“. Erinnern wir uns unserer Toten und denken wir dabei ruhig auch einmal an den eigenen Tod.

Von Sr. Philippa Rath OSB

Sommerzeit, Urlaubszeit, Zeit für Muße und Entspannung, vielleicht auch Zeit zum Sich-Gewahr-werden, zur Suche nach den eigenen Wurzeln und nach der eigenen Identität. Ich möchte Ihnen heute eine vielleicht etwas ungewöhnliche Ferienbeschäftigung empfehlen: das Sich-Erinnern. Das Wort „Erinnern“, „Erinnerung“ kommt vom „Inneren“, d.h. es hat zutiefst mit uns selbst zu tun. Erinnerungen sind ein Teil unserer selbst. Unser Gedächtnis ist dabei so etwas wie ein lebendiger Speicher – wie er genau funktioniert, das weiß die Wissenschaft bis heute kaum. Durch Anstöße, seien es Bilder, Worte oder bestimmte Reize, kann der Speicher, der vielfach auf unbewusste Weise wirkt, aktiviert werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei unter anderem unsere fünf Sinne. Sie sind sozusagen Gedächtnisträger und können gerade in Zeiten der Entspannung und der Ferien neu geschärft werden Wir sehen ein bestimmtes Bild, ein Gesicht, eine Landschaft – und erinnern uns. Wir hören einen bestimmten Ton, eine Melodie, ein Lied – und erinnern uns. Wir nehmen einen bestimmten Geruch oder Duft wahr – und erinnern uns. Wir erfühlen oder ertasten eine bestimmte Oberfläche, einen Stoff, eine Form – und erinnern uns. Wir schmecken einen bestimmten Geschmack, eine Nuance in einem Gericht oder einem Getränk – und erinnern uns. Was ist das, was sich da in unserem Herzen und in unserer Seele abspielt? Scheinbar längst Vergessenes kommt mit einem mal wieder an die Oberfläche, und wir erinnern uns unserer Gedanken, Gefühle und Empfindungen von einst. In der zeitlichen Entfernung können wir diese ordnen und bewerten und damit bekommen sie eine ganz neue Bedeutung – auch für unser Leben heute. Die Erinnerung stiftet also meine Identität, sie lässt mich zu dem werden, der ich bin. Das gilt für den einzelnen ebenso wie für Familien und Gemeinschaften, für Völker und Kulturen, für Epochen und Generationen. Deshalb ist das Austauschen von Erinnerungen so wichtig und notwendig – sei es in der Familie oder im Freundeskreis, sei es in der Gesellschaft als ganzer oder sei es in meinem ganz persönlichen Umfeld. Nutzen wir die Zeit des Urlaubs vielleicht in Ruhe auch einmal zu einem erinnernden Gespräch – mit uns selbst, mit anderen und vielleicht auch mit Gott. Denn auch Religion hat etwas mit Erinnerung, mit erinnerter Geschichte zu tun: mit der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Es lohnt sich, diese Geschichte wieder neu zu entdecken. Und so ganz nebenbei finden wir damit auch uns selbst.

Sr. Philippa Rath OSB

Ohne Gott ist ein Kloster nicht denkbar. Gott ist die Grundlage und das Ziel christlich geprägten klösterlichen Lebens. Der christliche Gott, in der Tradition des Abendlandes bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch weithin bekannt, ist heute nur noch wenigen geläufig oder gar vertraut.
Aus diesem Grunde möchten wir ihn hier kurz vorstellen. Kenntnis haben wir von ihm durch die Bibel, das bisher am häufigsten verlegte, übersetzte und verkaufte Buch der Welt. Die christliche Bibel gliedert sich in zwei Teile, das Alte und das Neue Testament.
Das Alte Testament verbindet die christliche Religion mit dem Judentum und dem Islam. Wesentliche Teile dieser Texte sind für alle drei Religionen gemeinsam grundlegend, vor allem die Aussage, daß es nur einen einzigen Gott gibt.
Das Neue Testament knüpft an die Existenz von Jesus von Nazareth an. Die sogenannten vier Evangelien, nach Matthäus, nach Markus, nach Lukas und nach Johannes, beschreiben dessen Lebensweg, wie er bis dahin erzählt worden ist. Allerdings handelt es sich in keinem Fall um eine Dokumentation im heutigen Sinne. Vielmehr wird deutlich, daß mit Jesus etwas Neues anbricht, ein neues Verhältnis Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott. Das Alte Testament ist voll von Hinweisen darauf, daß diese Erneuerung notwendig ist, weil der Mensch seine Beziehung zu Gott aufgekündigt hat. So begründet sich die Erwartung des jüdischen Volkes auf den so genannten Gesalbten, den Christus, den Messias.
Diejenigen Juden, die der Auffassung sind, bei Jesus handele es sich um den erwarteten Messias, werden seither Christen genannt. So beschreibt es die Apostelgeschichte, der nächste Text im Neuen Testament. In ihm wird außerdem erzählt, daß nunmehr nicht ausschließlich die Juden das im Alten Testament so genannte Volk Gottes bilden, daß also nicht mehr die Abstammung ausschlaggebend für die Zugehörigkeit zum Volk Gottes ist, sondern die Einstellung zu Jesus von Nazareth. Wenn man ihn für den vom jüdischen Volk erwarteten Messias hält, zählt man zu den Christen. Die Gemeinschaft der Christen wird schon sehr früh „Kirche“ genannt.
Die Gemeinschaft der Christen, die Kirche, war es auch, die Ende des 4.Jahrhunderts verbindlich und abschließend festgelegt hat, welche der vielen Texte über Jesus Christus und die Gemeinschaft der Christen, die im ersten und zweiten Jahrhundert entstanden waren, zur Bibel gehören sollen. Seither gilt die Bibel als Grundlage für christliches Leben.
Gleichwohl handelt es sich beim Christentum nicht um eine Buchreligion, sondern gründet sich auf Personen, erstlich auf die persönliche Beziehung des einzelnen Christen zu Jesus Christus.

Von ihm wird in der Bibel erzählt, daß seine Anhänger nicht nur seinen Tod am Kreuz miterlebt haben, sondern schon kurze Zeit später, in den Texten ist vom „dritten Tag“ die Rede, zum Teil unabhängig voneinander bemerkt und erfahren haben, daß er nicht mehr tot war, sondern lebt. Die zentrale christliche Botschaft lautet denn auch: „Jesus Christus hat den Tod am Kreuz erlitten und ist begraben worden. Er ist auferstanden am dritten Tag und den Jüngern erschienen.“ Seither ist er bis in unsere Zeit wirksam in der Gemeinschaft der Christen, der Kirche.

Die Christen haben im Nachsinnen über Gott und Jesus Christus dessen Wesen als „Gott gleich“ beschrieben. So entstand nach und nach die Vorstellung vom dreipersonalen Gott, von dem einen Gott, der sich in drei Personen entfaltet: Gott, der Vater, Gott, der Sohn, und Gott der Heilige Geist, als Verbindung zwischen Vater und Sohn.
Gott, der Vater, wird dabei erstlich als der Schöpfer der Welt und des Lebens angesehen.
Von Gott, dem Sohn, also von Jesus Christus, wird gesagt, er habe die Schöpfung, die sich verselbständigt hat, durch seinen Tod und seine Auferstehung wieder in die ursprüngliche Heilssituation gebracht.
Der Heilige Geist, gleichfalls eigenständige Person, gilt als Verbindung zwischen Vater und Sohn. Die Verbindung zwischen den göttlichen Personen wird für so wichtig gehalten, daß sie ebenfalls als Person dargestellt wird. Die Verbindung vollzieht sich im Gespräch zwischen Vater und Sohn. Von daher kommt dem Wort im Christentum besondere Bedeutung zu. Schon im Johannesevangelium wird Jesus Christus selbst „Wort Gottes“ genannt, durch das Gott die Schöpfung, die Welt, ins Werk setzt.

Im gemeinsamen Nachdenken der Christen über die Bibeltexte hat sich ergeben, daß das Thema des innergöttlichen Gespräches die Welt und das Wohlergehen der Menschen ist.
Abzulesen ist das vor allem an der immer wiederkehrenden Aufforderung der Bibel an die Menschen, Frieden zu ermöglichen und zu bewahren und das menschliche Zusammenleben von der Liebe zueinander bestimmen zu lassen.
Das kann allerdings niemals durch die Verdrängung von Problemen und Konflikten geschehen, sondern durch das gemeinsame Bemühen, die Konflikte auszutragen und die Probleme zu lösen. Der „unerledigte Rest“, den jede Bewältigung von Schwierigkeiten nach sich zieht, ist durch Wahrhaftigkeit und Rücksichtnahme zu entschärfen.
Dieses Existenzmodell liegt nicht nur der christlichen Kirche sondern darüberhinaus der ganzen abendländischen Gesellschaft zugrunde und bestimmt auch mehr und mehr die Arbeit der Politiker, unabhängig davon, ob sie sich zu den Christen zählen oder nicht.

So wird der christliche Gott als ein menschenliebender Gott beschrieben, der in Jesus Christus den Menschen so nahe kommt, daß er, obwohl er Gott ist, selbst Mensch wird. Im Heiligen Geist hinterläßt er den Menschen Anteil am göttlichen Leben und versetzt sie grundsätzlich in die Lage, gut miteinander zu leben. Der Blick ins eigene Leben und der Blick auf die Kirchengeschichte erweisen allerdings, daß dieses Ziel noch längst nicht zuverlässig und auf Dauer erreicht ist.
Die christliche Kirche stellt aber eine Möglichkeit dar, sich ihm manchmal zu nähern.

Sr. Scholastica Steinle OSB

 

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A

Abt / Äbtissin (lat. Abbas „Vater“) Von der Gemeinschaft eines selbständigen Klosters frei gewählt (auf Lebenszeit oder für ca. 12 Jahre) geistlicher Vater /geistliche Mutter. Abt und Äbtissin erhalten eine kirchliche Weihe.
Abtei Haus und Lebensbereich einer selbständigen Gemeinschaft von Mönchen oder Nonnen.
Askese (griechisch Askese „Übung“) Die Einübung in ein Leben, das ausgerichtet ist auf Gott und von diesem Ziel her den bewussten und gewollten Verzicht auf bestimmte Lebensvollzüge einschließt.

B

Benediktsregel Die Benediktsregel (Regula Benedicti) wurde um 529 vom heiligen Benedikt von Nursia als Lebensregel für Mönche und Nonnen verfasst. Ursprünglich galt die Regel für das von ihm gegründete Gemeinschaftskloster Monte Cassino in Mittelitalien. Seit dem Mittelalter ist die Benediktsregel die einheitliche Lebensgrundlage für alle Klöster des Ordens der Benediktiner (Ordo Sancti Benedicti, OSB).

Die Benediktsregel besteht aus einem Prolog und 73 Kapiteln:

  • Der Prolog und die Kapitel 1 bis 3 umfassen Grundlegendes zum Mönchsleben.
  • Die Kapitel 4 bis 7 befassen sich mit den monastischen Tugenden, vor allem Gehorsam, Schweigen und Demut.
  • Die Kapitel 8 bis 20 treffen Anordnungen für das opus Dei, den Gottesdienst, der im benediktinischen Leben einen großen Stellenwert einnimmt.
  • Die Kapitel 21 bis 30 klären Strafen für Verstöße gegen die Regel.
  • Die Kapitel 31 bis 57 geben Anweisung über die Verwaltung des Klosters, die Dienste der Mönche, die Versorgung der Mönche, die Aufnahme von Gästen und den Umgang mit den Handwerkern und Künstlern des Klosters.
  • Die Kapitel 58 bis 66 regeln die Aufnahme von Novizen, die Rangordnung in der Gemeinschaft, die Einsetzung von Prior und Abt und die Aufgaben des Pförtners. Gemäß Kapitel 58 umfasst das Ordensgelübde die Versprechen von Beständigkeit (Stabilitas loci, das heißt Bindung an ein bestimmtes Kloster, bzw. eine bestimmte Gemeinschaft), klösterlichem Lebenswandel und Gehorsam.
  • Die Kapitel 67 bis 72 gelten als Nachträge. Sie geben Weisungen für den Umgang der Brüder untereinander.
  • Kapitel 73 ist ein Epilog
Brevier (lat.: breviarium, von brevis „kurz“) Buch, in dem alle Psalmen und Gebete des Chorgebetes für die einzelnen Gebetszeiten enthalten sind.

 

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C

Cellerar / Cellerarin Ein Cellerar/eine Cellerarin ist der bzw. die Verantwortliche für die wirtschaftlichen Belange und die Verwaltung des Klosters. Die Aufgaben sind im Kapitel 31 der Benediktsregel beschrieben.
Chor / Chorgestühl Raum innerhalb einer Kirche, in dem das Chorgebet verrichtet wird.
Choral Einstimmige Gesänge für die römisch-lateinische Liturgie mit eigenen Tonarten (auch Kirchentonarten genannt). Als musikalische Ausformung des biblischen Textes ist der Choral Bestandteil der liturgischen Handlung. Die ältesten Choral-Handschriften stammen aus dem 8./9. Jhdt.
Chorgebet Das im Chor der Klosterkirche mehrmals täglich zu festen Zeiten gesungene oder rezitierte Chorgebet strukturiert den Tag einer Klostergemeinschaft, die damit ihren kirchlichen Auftrag zum Stundengebet erfüllt.

E

Einkleidung Einkleidung ist der feierliche Akt der Übergabe des Ordensgewandes an ein neues Ordensmitglied zur Aufnahme in das Noviziat. Das neue Ordensmitglied erhält mit der Einkleidung in der Regel auch einen neuen Ordensnamen.
Eucharistie /Heilige Messe Das Wort Eucharistie bedeutet Danksagung. Die Eucharistie – auch Abendmahl – ist eines der sieben Sakramente. Die Liturgie der Eucharistie ist die Vergegenwärtigung des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern. In allen Kirchen sind Brot (in der Regel Hostien) und Wein die verwendeten Elemente, die gespendet und empfangen werden (Brot = Leib Christi, Wein = Blut Christi).
Exerzitien Exerzitien sind geistliche Übungen, die auf den heiligen Ignatius von Loyola zurückgehen; sie beinhalten Zeiten der inneren Einkehr, der Betrachtung der Heiligen Schrift, des Schweigens und des Gebets.

 

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H

Habit Habit ist die Ordenstracht einer Ordensgemeinschaft. Das Wort ist abgeleitet vom lat. Habitus „Haltung, Gestalt“. Der Habit soll als einheitliches Gewand die Verbundenheit der Ordensmitglieder betonen und ist das äußere Zeichen eines einfachen Lebensstils:

  • Benediktiner: schwarzes Gewand
  • Zisterzienser, Kartäuser: weißes Gewand
  • Franziskaner: braunes Gewand
  • Dominikaner: schwarz-weißes Gewand
Hore (lat. Hora: „Stunde“) Stundengebete der Klostergemeinschaft.

Siehe Stundengebet

Hostie (lat. hostia „Opfer, Opfergabe“) Hostie bezeichnet das zur Eucharistie verwendete Brot.

 

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I

Infirmerie Infirmerie ist die Krankenabteilung in einem Kloster.

K

Kantor / Kantorin (lat. cantare „singen“, Kantor „Sänger“) Als Kantor/Kantorin wird der bzw. die Vorsänger/Vorsängerin oder Chorleiter/Chorleiterin im Gottesdienst bezeichnet.
Kapitel Raum, in dem man sich zu Beratungen (Kapitelsitzungen) und wichtigen klösterlichen Vollzügen (Abtswahl, Einkleidung usw.) versammelt.
Klausur (lat. claudere „schließen“) Geschützter Lebensbereich innerhalb eines Klosters, der den notwendigen Raum der Stille und Sammlung ermöglichen soll und von Außenstehenden nur in Ausnahmefällen betreten werden darf.
Klerus Als Klerus bezeichnet man die Gesamtheit aller katholischen Geistlichen.
Kloster (lat. claustrum „verschlossener Ort“) Ein Kloster ist ein Gebäude, in dem Ordensgemeinschaften leben. Die monastischen Klöster des Benediktiner- und Zisterzienserordens werden Abtei genannt. Die dort lebenden Gemeinschaften werden von einem Abt oder einer Äbtissin geleitet.
Kommunität /Konvent (lat. communitas „Gemeinwesen“) Kommunität bezeichnet ebenso wie der Begriff Konvent die Ordensgemeinschaft als Ganzes. Konvent wird bisweilen auch der Wohnbereich eines Klosters genannt.
Komplet Siehe Stundengebet
Kongregation Zusammenschluss mehrerer selbständiger Klöster und Abteien mit gemeinsamen Konstitutionen.
Konstitutionen (oder Deklarationen) Erläuterungen und Auslegungen zur Benediktsregel und für das gemeinsame Leben in den Klöstern..
Kontemplativ (lat. contemplari: „beschaulich, d.h. ganz auf Gott hin ausgerichtet leben,“) Kontemplation ist in philosophischen und religiösen Texten die Bezeichnung für ein konzentriertes Betrachten eines geistigen ungegenständlichen Objektes.
   
Kreuzgang Rechteckiger (offener oder überdachter), um einen Garten (Kreuzgarten) angelegter Gang, der die Gemeinschaftsräume eines Klosters miteinander verbindet und durch seine Anlage für Prozessionen wie auch für die persönliche Meditation genutzt werden kann.
Kukulle (lat. cucullus „Tüte“, in übertragener Bedeutung „Kapuze“) Vielfaltiger Mantel als Teil des Habits, der zum Chorgebet getragen wird.

 

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L

Laudes Siehe Stundengebet
Lectio divina Geistliche Schriftlesung, Betrachtung und Meditation der Heiligen Schrift.
Liturgie (aus dem lat. „Gottesdienst“) Liturgie bezeichnet die christlichen und jüdischen Rituale zur Verehrung Gottes und zur Vertiefung des Glaubens in der Gemeinde. Liturgie ist die prägende Lebensmitte jeder Klostergemeinschaft, die sich in der Feier der Eucharistie und des gemeinsamen Stundengebetes entfaltet.

M

Magister / Magistra (aus dem lat.“ LehrerIn / NovizenmeisterIn“): Geistlicher Begleiter/Geistliche Begleiterin der jungen Nonnen und Mönche, die sich in ihrer Berufung prüfen und auf die Profess vorbereiten (Postulanten, Novizen, in Frauenklöstern auch die zeitlichen Professen).
Meditation (lat. Meditatio „Betrachtung“)
Mittagshore Siehe Stundengebet
Mönch (lat. Monachus „Mönch“): Männliches Mitglied eines kontemplativen Ordens.
Monastisch Bezeichnung im Christentum für das Klosterleben; d.h., alles, was der Benediktsregel, den Konstitutionen und den jeweiligen Hausbräuchen eines Klosters entspricht. Aus dem verwandten lat. Wort monasterium leiten sich in anderen Sprachen die Bezeichnung für Kloster und für bestimmte Kirchengebäude ab; z.B.: monastery (englisch), monastère (französisch) oder auch auf Deutsch „Münster“

 

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N

Nonne Weibliches Mitglied eines kontemplativen Ordens.
Noviziat Das Noviziat ist die Probe- und Einführungszeit von Novizen / Novizinnen (neue Ordensmitglieder), um die Berufung für das Ordensleben zu prüfen (ein bis zwei Jahre).

O

Oberin Eine Oberin ist Leiterin einer Schwesternschaft und somit die Vorsteherin einer klösterlichen Gemeinschaft. Die Oberin einer selbständigen Abtei wird als Äbtissin bezeichnet.
Ora-et-labora (aus dem lat.„bete und arbeite“) ora-et-labora ist ein Grundsatz, der sich auf den Lebensrhythmus des Ordens der Benediktiner bezieht. Vollständig lautet der Grundsatz ora-et-labora-et-lege, Deus adest sine mora (bete und arbeite und lies, Gott ist da ohne Verzug). Obwohl der Grundsatz das Leben in den benediktinischen Klöstern bestimmt, ist er in dieser Form nicht in der Benediktsregel enthalten.
Orden Ein Orden ist eine Gemeinschaft (auch Ordensgemeinschaft) von Brüdern und Schwestern, Mönchen und Nonnen, die auf Basis einer bestimmten Ordensregel und durch Ablegen des Ordensgelübdes an ein geistliches Leben gebunden sind.

 

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P

Postulant / Postulantin Anwärter bzw. Anwärterin für das Klosterleben. Diese leben unverbindlich bis zur eventuellen Einkleidung und Aufnahme in das Noviziat in der Klostergemeinschaft.
Primas Oberster Repräsentant aller benediktinischen Ordensgemeinschaften auf der ganzen Welt mit Sitz in Rom.
Prior / Priorin Stellvertreter des Abtes bzw. Stellvertreterin der Äbtissin.
Profess (aus dem lat. „Bekenntnis“) Bindung an eine kontemplative Gemeinschaft durch die drei monastischen Gelübde der Beständigkeit (Stabilitas), des klösterlichen Lebenswandels (Conversatio morum) und des Gehorsams (Oboedientia). Nach dem Noviziat legt der Novize /die Novizin zunächst die Gelübde für drei Jahre (sogenannte zeitliche Profess) ab; anschließend bindet er /sie sich auf Lebenszeit an eine Gemeinschaft (feierliche Profess).

 

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R

Refektorium (lat. refectio „Wiederherstellung“, „Erfrischung“) Das Refektorium ist der Speisesaal des Klosters. In den Klöstern, die ein Gästehaus haben, gibt es außerdem ein den Gästen vorbehaltenes „Gästerefektorium“.

S

Sakramente (lat. sacramentum „Zeichen des Heils“) Sichtbare Zeichen einer verborgenen Heilswirklichkeit. In den Sakramenten ist Jesus Christus selbst gegenwärtig und wirkt durch seine Kirche. Es gibt sieben Sakramente:

Taufe, Firmung, Eucharistie nehmen den Menschen in die Gemeinschaft der Gläubigen auf; Ehe und Weihe (Diakon- Priester- und Bischofsweihe) stärken die Empfänger für ihren Ehebund bzw. für ihren Dienst in der Kirche; Beichte und Krankensalbung sind die Sakramente der Heilung.

Sakristei Die Sakristei als Vorraum zur Kirche steht den Priestern zur Vorbereitung des Gottesdienstes zur Verfügung.
Scholastika (lat. scholastica „Die Lernende“) Die heilige Scholastika war die Schwester des heiligen Benedikt und gilt als Vorsteherin des ersten benediktinischen Frauenklosters. Scholastika ist ein, zumeist in Klöstern gebräuchlicher, weiblicher Vorname mit Namenstag am 10. Februar.
Silentium (aus dem lat. „Schweigen“) Festgelegte Zeiten des Stillschweigens, die dem einzelnen den Raum der lebendigen und persönlichen Begegnung mit Gott ermöglichen sollen.
Sr. Sr. ist die Abkürzung des lateinischen soror („Schwester, Ordensfrau“) und wird dem Namen der Nonne vorangestellt. Gesprochene Form: Schwester + Vorname.

Geschriebene Form: Sr. + Vorname.

Statio Teil des Kreuzganges; Ort der Sammlung und des Schweigens, an dem sich die Gemeinschaft zum Einzug in den Chor versammelt.
Stundengebet Das Stundengebet bezieht sich auf das Apostelwort „bete ohne Unterlass“ und auf das Psalmwort „Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob und nachts stehe ich auf, um Dich zu preisen“. Das Stundengebet ist am Zyklus des Tageslaufs, dem Wechsel von Schlafen und Wachen, Licht und Dunkelheit sowie Arbeit und Ruhe orientiert.

Der heilige Benedikt teilt das tägliche Stundengebet in Horen (lat. hora „Stunde“) ein:

  • die erste Hore nennt man Vigilien, sie ist das ursprüngliche Nachtgebet der Mönche und findet heute in der Regel am Vorabend statt
  • die Laudes sind das Morgengebet zwischen 5:30 und 8:00
  • die kleinen Horen wurden ursprünglich im Abstand von drei Stunden ( 6:00, 9:00, 12:00 und 15:00) gebetet. Diese sind
    • Prim, die heute in der Regel in Einheit mit den Laudes gebetet wird
    • Terz, die entweder unmittelbar vor der Heiligen Messe oder in diese integriert gebetet wird
    • Sext
    • Non
    • Heute ist es üblich, die beiden kleinen Horen Sext und Non zu einer Mittagshore zusammen zu fassen
  • Die Vesper ist das zentrale Abendgebet der Kirche und wird vor dem Abendessen gebetet (zwischen 17:00 und 18:00)
  • Die Komplet ist die letzte Hore des Tages, die zwischen 19:30 und 21:00 gebetet wird. Danach setzt das nächtliche Schweigen ein, das nur durch die Vigilien unterbrochen wird.

 

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V

Vesper Siehe Stundengebet
Vigilien Siehe Stundengebet

Z

Zelle (lat. Cella „Raum“): Gebets- und Schlafraum der Nonnen bzw. der Mönche. Die Zelle ist bevorzugter Ort mönchischen Alleinseins; der Mönch liebt sie als Stätte, in der er unter den Augen Gottes bei sich selbst zu Hause sein kann.
Zisterzienser Die Zisterzienser sind ein Reformorden, der im 11. Jahrhundert aus den Benediktinern hervorgegangen ist. Die Namensgebung erfolgte aus dem Kloster Cîteaux (lat. cistercium).

 

Weg nach Innen.

Ora et labora, so lautet die bekannte Kurzformel, mit der benediktinisches Ordensleben gerne zusammengefasst wird: bete und arbeite. Doch es fehlt der Losung mit ungeklärter Herkunft das dritte Standbein, die Tora. Ora et labora et lege – bete, arbeite und lies, so müsste es vollständig heißen.

In seiner Regel gliedert der Ordensvater Benedikt das Kalenderjahr in drei Zeitfenster, denen er ein unterschiedliches Maß an Arbeit, Gebet und Lesungszeit zuordnet. Zugleich reserviert er für das Studium der hl. Schrift, der sogenannten Lectio Divina (RB 48,1), einen besonderen Zeit- und Schutzraum: Die Mönche sollen zu bestimmten Stunden frei sein für die Lesung. Siebenmal gebraucht er innerhalb weniger Verse dafür das Wort vacare, um auf die Notwendigkeit der Spannungseinheit und deren qualitative Prägung hinzuweisen: frei sein (vacent lectionibus), um sich eifrig und aufmerksam der Meditation der hl. Schrift (intentus lectioni) widmen zu können. Kurz: Die Benediktusregel, komprimiert in dem Dreisatz ora et labora et lege, erweist sich als eine Bauidee mit Elastizität. Sie bietet einen hermeneutischen Rahmen und zugleich die Freiheit für Adaptionen und Reinkarnationen. Die Lectio Divina soll den, der sich in die Schrift vertieft und sie verinnerlicht, befähigen, sich auf das Wort Gottes, das buchstäblich in Anspruch nimmt, einzulassen, es existentiell zu erschließen und im Leben zu verwirklichen. Das verbindende „et“ zählt nicht ein minutiös getaktetes Nebeneinander auf. Es geht vielmehr um die innere Verbindung dreier Grundhaltungen und die Konjunktion des gesamten Lebens unter der Führung der göttlichen Weisung: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat“ (RB Prol. 1).

Das Erkannte soll im Tun sichtbar werden.
Prolog der Benediktusregel und Proömium des Psalters stellen gleichermaßen das Porträt eines glückseligen Menschen vor, der aus dem lebendigen Kontakt mit dem Wort Gottes lebt und der seine „Freude hat an der Weisung des Herrn“ (V.2). Er hält sich nicht auf, wo er sich nicht aufhalten soll (V.1); er begibt sich nicht auf das abschüssige Gefälle vom Gehen, über das Stehen, bis hin zum sich niederlassen und festsetzen auf der „cathedra pestilentiae“ (Abstraktum der Vulgata).

Drei Verben der Bewegung führen über eine Antiklimax zum Stillstand: gehen, stehen, sitzen. Von den drei negativen Darstellungen einer sich zunehmend verengenden Sicht- und Handlungsweise (auch die Cathedra der Pestilenz folgt einer logischen Sukzession: vom weiten Rat, über den schmalen Weg bis zum kleinen Kreis), hebt sich die Freiheit des selig zu preisenden Mannes ab. Dieser verortet sich ganz in der Tora, in der Weisung des Herrn, und sinnt über sie nach bei Tag und bei Nacht (in lege Domini meditabitur die ac nocte, V.2). Er versenkt sich in das Wort – und hält im wahrsten Sinn Lectio Divina, „damit wir uns das, was wir murmelnd immerfort wiederholen, im Glauben zu eigen machen“ (Liber Horesi 51). Die monastische Tradition nennt das ruminatio – wiederkäuen, und umschreibt damit eine mystisch-aszetische Grundhaltung beständiger Meditation. Der Gerechte (Zaddik, V.5f.) schluckt nicht einfach das Gesetz, er kaut es wortwörtlich durch. Und wie sich bei der Nahrungsaufnahme Energie und Nährstoffe erst durch bedächtiges Kauen freisetzten, so verhält es sich auch hier mit der stetigen Wiederholung der Worte der Tora. Die Lust am Gesetz, das unerschöpfliche und schöpferische Nachsinnen eröffnet ungeahnte Möglichkeiten der Vertiefung, des Verstehens und der Identifikation: „Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Bächen voll Wasser, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt“. Wurzeln schlagen, um sich entfalten zu können: „Alles was er tut, wird im gelingen“ (V.3). Mehr noch, er ist sogar dem natürlichen Kreislauf der Vergänglichkeit enthoben. Das Laub bleibt paradiesisch immergrün, seine Blätter „welken nicht“ (V.3).

Was im 12. Jahrhundert zum klassischen Vierschritt der Lectio Divina wird (Guigo II., Scala claustralium), finden wir hier bereits in nur einem Vers vorgebildet:

1. lectio – die beständige Wässerung des Baumes (V.3a) – wachsame Lesung der hl. Schrift
2. meditatio – der langsame Reifungsprozess der Frucht (V.3b), die dann zur rechten Zeit ihren Saft und Geschmack abgibt – ständige Wiederholung und einübende Verinnerlichung des Gelesenen
3. oratio – die belebende Wiederholung und Erneuerung der Grünkraft (V.3c), damit die Erkenntnis nicht welkt – Antwort auf die Anrede Gottes
4. contemplatio – der neue Gesichtspunkt des Handelns (V.3d) – Verweilen in der Gegenwart Gottes

Gegenbild dazu ist die Unstetigkeit der Frevler, die wie der nutzlose und unfruchtbare Überrest des Getreides (Spreustaub = der letzte Dreck) vom Wind verweht werden (V.4). Ihnen fehlen Beständigkeit und Ausdauer, etwas durchzustehen. Weder im Gericht noch in der Gemeinde der Gerechten haben sie einen Standort. Mangelnde Zugehörigkeit, die in Isolation und Dissoziation führt. Dass der Wind sie zerstreut, erscheint hier jedoch nicht als Strafe. Es steht spiegelbildlich für die Gottlosigkeit, die in den Abgrund des Chaos führt. Flüchtig und ruhelos (vgl. Gen 4,12), wie Kehricht vom Wind gejagt. Doch nicht allein die Existenz der Frevler verliert sich. Das letzte Wort von Psalm 1 weist darauf hin, dass der Irrweg selbst vergehen wird. Damit ist auch eine alphabetische Klammer, ein Wegweiser vom ﬡ (Aschre, V.1) bis zum ﬨ (Tobed, V.6) gesetzt. Der Mensch muss sich je neu entscheiden, positionieren, verorten.

Die Letztbeurteilung der Wegverläufe liegt jedoch bei Gott, der allein die ganze Strecke überblickt und eigene Maßstäbe hat (vgl. Mt 7,13-14). Der Mensch auf der Wegkreuzung aber kann sich bereithalten, um aus der gelebten Gottesbeziehung heraus seine Schritte frei zu setzten: „Denn JHWH kennt den Weg der Gerechten“ (V.6). Dieses „Kennen“ (Jodea) meint eine liebende Zuwendung und spricht zugleich von einer Vertrautheit, die sich einer lebendigen Beziehung verdankt. Der Weg des Gerechten ist ein von JHWH „umsorgter“ (Romano Guardini, Deutscher Psalter). Aus dieser Verwurzelung heraus vermag der Mensch, sich zu allem, was ihm begegnet, ihm entgegentritt oder verleitet, zu verhalten. Verwurzelt zu sein an den Quellbächen der Tora, das Ohr des Herzens zu neigen, das Wort zu schmecken (vgl. Jer 15,16; Ez 3,1-3) und seinen Weg zu gehen – das sind Perspektiven, die zur Grundsituation eines freien, aber immer auch fragilen und fraglichen Lebens gehören.
Anders gewendet: Die Lectio Divina fördert geistige und seelische Beweglichkeit und Ausdauer, um bei gesellschaftlichen Überzeugungen und materiellen Gütern nicht einfach stehen oder gar kleben zu bleiben. Durch beständiges Fragen und Suchen erweist sie sich als Ort „fortschreitender“ Gottesbegegnung, denn mit Gott tritt man nicht auf der Stelle (Dietrich Bonhoeffer).

Am Ziel.

Am Aschermittwoch, dem Beginn der österlichen Bußzeit, intoniert der Gesang zur Kommunion Psalm 1,2: „Qui meditabitur in lege Domini die ac nocte, dabit fructum suum in tempore suo“. Möglich, dass damit der Umkehrweg der Fastenzeit beschrieben werden soll: was in diesen 40 Tagen an guten Vorsätzen und Bußübungen gesät wird, möge am Osterfest reiche Frucht tragen. Die Neumen der Communio legen allerdings einen Betonungsschwerpunkt und eine bewusste Verlangsamung der Melodie auf die Worte „in tempore“ – zu seiner Zeit. Nachlässigkeit im Auskosten der Lectio Divina, lässt auf die Dauer unfruchtbar werden im Guten (Cassian, Inst. 10,2,1). Wer sich die Schriftworte nicht durch beständiges Wiederkäuen einverleibt, verliert mit der Zeit Substanz. Fehlt die äußere Ruhe, geht auch die innere Dynamik verloren. Die Gangart des Schweigens will Distanz gewinnen und zugleich Bewegungsfreiheit bewahren und sich gerade nicht vereinnahmen lassen von Zwängen und Meinungen. Eine Erfahrung, die zwei Altväter pointiert ins Wort bringen: „Altvater Sisoes sagte: Schweigen heißt pilgern!“ (Vitae Patrum 7,32,4). Und Altvater Moses: „Geh, setz dich in deine Zelle, und die Zelle wird dich alles lehren“ (Vitae Patrum 5,2,9).
Die erste Prozession am Aschermittwoch war der Gang zum Empfang des Aschenkreuzes, begleitet von den Worten: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist, und zum Staub zurückkehrst. Kehr um, und glaub an das Evangelium.“ Die zweite Prozession ist der Gang zur Kommunion, begleitet durch das melodische Vor-sich-her-Summen von Psalm 1,2. Fruchtbringen zu dürfen, zu seiner Zeit, entlastet vor falscher Askese und vermeintlich guten Wegen, damit nicht die ichbezogene vana gloria im Weg steht dem „Freisein für Gott“.

Von Sr. Raphaela Brüggenthies OSB

Freude und Schmerz schließen sich nicht aus, sondern gehören eng zueinander. Diese Erfahrung machen wir nur allzu oft in unserem Leben. Papst Benedikt XVI. hat in einer Meditation auf diesen Zusammenhang eindringlich hingewiesen. Er sagte:

„Die Weisung ‚gaudete’ – freut euch – kommt in den Briefen des hl. Paulus sehr häufig vor, ja man könnte sagen, dass sie gleichsam der ‚cantus firmus’ seines Denkens ist. Im so mühseligen Leben des Paulus, einem Leben mit Verfolgungen, Hunger, Leiden aller Art, ist dennoch das Schlüsselwort ‚gaudete’ immer gegenwärtig.

Hier erhebt sich die Frage: ist es möglich, die Freude gleichsam anzuordnen? Die Freude, möchten wir sagen, kommt oder kommt nicht, sie kann nicht auferlegt werden wie eine Pflicht. Und hier hilft es uns, wenn wir an den bekannten Text über die Freude in den Paulusbriefen denken, das heißt an den des Sonntags ‚gaudete’ mitten in der Liturgie des Advent. ‚Gaudete, iterum dico gaudete, quia Dominus prope est’ [Freut euch, wiederum sage ich, freut euch – denn der Herr ist nahe].

Wenn mir der Geliebte, die Liebe, das größte Geschenk meines Lebens, nahe ist, wenn ich sicher sein kann, dass er, der mich liebt, mir auch in schwierigen Situationen nahe ist, dann empfinde ich im Grunde meines Herzens eine Freude, die größer als alles Leiden ist. Der Apostel kann sagen: ’gaudete’, denn der Herr ist jedem von uns nahe. Deshalb ist diese Weisung in Wirklichkeit eine Einladung, dass wir uns der Gegenwart des Herrn, der uns nahe ist, bewusst werden. Sie ist eine Sensibilisierung für die Gegenwart des Herrn. Der hl. Paulus will uns aufmerksam machen auf diese verborgene Präsenz Christi, der jedem von uns nahe ist. Für jeden von uns gelten die Worte aus der Offenbarung: Ich klopfe an deine Tür. Höre mich, öffne mir. Es ist also auch eine Einladung, für diese Gegenwart des Herrn, der an meine Tür klopft, empfänglich zu sein. Ihm gegenüber nicht taub zu sein, weil die Ohren unseres Herzens so erfüllt sind von den vielen Geräuschen der Welt … Prüfen wir, ob wir bereit sind, die Türen unseres Herzens zu öffnen … Er klopft an die Tür, er ist uns nahe, und damit ist uns die wahre Freude nahe, die stärker ist als alle Traurigkeit der Welt und unseres Lebens.“

Soweit die Worte unseres Hl. Vaters Benedikt XVI. Greifen wir ein paar Gedanken des Papstes etwas konkreter auf.

Der Apostel Paulus fordert uns in seinen Briefen an die Philipper und an die Thessalonicher ganz bewusst und sehr eindringlich zur Freude auf. Wenn er dies so auffallend hervorhebt, dann muss es sich hier offenbar um eine ganz besondere Freude handeln. Es geht hier nicht um eine Freude, wie sie uns sonst in unserem Alltag widerfährt, wir können diese Freude auch nicht selbst machen. Die Freude, die der hl. Paulus meint, ist ganz und gar Geschenk, ist reine Gnade und Geschenk des Hl. Geistes. Sie ist die Freude im Herrn, der Mensch geworden ist und uns damit auf wunderbare Weise nahe gekommen ist. Es ist die Freude am Herrn, der unser Leben teilt und uns erlöst hat durch sein Blut.

„Freut euch im Herrn allezeit, noch einmal sage ich euch: freuet euch“ – wir alle sind hier angesprochen, jede und jeder einzelne. Alle, die wir unseren Lebensort im Herrn haben, die wir uns ihm verbunden wissen, in ihm verankert sind und aus der Erfahrung seiner Liebe, seines Erbarmens und seiner Hingabe heraus zu leben versuchen. Er allein ist der Grund unserer Freude. Gerade deshalb ist diese Freude unabhängig davon, ob uns Gutes widerfährt, ob wir gerade glücklich sind, ob unser Leben gelingt und erfüllt ist. Der Herr ist da – ecce adsum – nicht nur in Tagen, die uns freudig erscheinen und willkommen sind, sondern gerade auch in Zeiten, in denen wir schwere Lasten zu tragen haben, in Zeiten, die vielleicht leer und einsam sind. Die Freude am Herrn vergeht nicht in Not und Leid, sondern kann gerade in solchen Prüfungen tragen, weil der Herr uns gerade dann besonders nahe ist.

Die nächste Nähe des Herrn erfahren wir in der Eucharistie, in den Zeichen von Brot und Wein. Was kann uns scheiden von der Liebe des Herrn, sagt Paulus im Römerbrief (8,35-37). Weder Bedrängnis noch Ängste, weder Verfolgung noch Gefahr, weder Hunger noch Kälte. Nichts kann uns scheiden von seiner Liebe, die uns umgibt, die uns trägt und die uns hält. Solche Liebe schenkt wahre Freude und inneren Frieden, eine Freude, die uns niemand nehmen kann, nur wir selbst.

Ja, wir selbst können der Freude im Wege stehen. Warum? Gewöhnlich empfinden wir unser Leben eher als glanzlos. Wir schleppen uns allzu oft nur so dahin, sind zermürbt von vielen kleinen und großen Ängsten und Sorgen, von Krankheit und Einsamkeit, von zuviel Arbeit und Überforderung. Der Engel der Weihnacht aber hat gerade in diesen unseren Alltag hinein sein Wort gesprochen: „Ich verkünde euch eine große Freude!“ Und die Hirten haben sich aufgemacht, mitten in der Nacht. Freude verlangt manchmal auch Anstrengung und Mut, möchte man sagen. Unglücklich sein kann jeder. Fragen wir uns ruhig einmal, wie es wäre, wenn der Engel der Weihnacht heute zu uns käme. Würden wir ihm antworten, würden wir uns auf den Weg machen, würden wir auch lieb gewordenes Unglück hinter uns lassen und der Freude entgegeneilen? Die alten Mönchsväter sahen eine bestimmte, oft auch heute nur allzu beliebte Form von Traurigkeit als Laster an, das es zu bekämpfen gelte. Vielleicht sollten wir einmal darüber nachdenken, ob sie nicht manchmal recht haben. Freude verlangt auch Anstrengung. Freude kann also Arbeit sein, vor allem Arbeit an uns selbst. Sie muss wie die Liebe gewollt, manchmal auch erkämpft werden. In der Vätertradition wurde die Freude immer als die Schwester der Liebe betrachtet. Gott ist die Liebe (1 Joh 4,8). Und darum ist Gott auch der Ursprung der Freude. Nicht umsonst war die erste Kunde von Jesus, dem Gott unter uns, die Freude. „Ich verkünde euch eine große Freude“.

In der Benediktsregel gibt es nur drei Stellen, an denen die Freude erwähnt wird. Doch diese drei Stellen haben es in sich. Da heißt es zum ersten im Kap. 5,16 über den Gehorsam: „Gott liebt einen freudigen Geber“. Freude, so kann man daraus schließen, entsteht in der Selbstlosigkeit und in der selbstlosen Hingabe. Freude wird mir nicht für mich selbst geschenkt, sondern ist dazu da, weitergegeben und geteilt zu werden. Sie bleibt nicht in sich, sondern sie strahlt aus. Christus selbst ist uns hierin das Vorbild schlechthin. In der Loslösung von sich selbst hat sich Weihnacht ereignet, Menschwerdung Gottes. In seiner Selbsthingabe sind wir erlöst worden. Wäre unsere Antwort auf dieses Geschenk der Erlösung nicht eine freudige Gelöstheit in allen Situationen, auch den schweren, unseres Lebens? „All das“, so sagt der hl. Benedikt in Kap. 9,39 „überwinden wir freudigen Herzens durch den, der uns geliebt hat“. Im festen Glauben an die Liebe und an die Nähe des Herrn dürfen wir und sollen wir uns freuen.

Die dritte Stelle (Kap. 49,6), an der der hl. Benedikt die Freude erwähnt, fasst beide genannten Motive noch einmal wie in einem Brennglas zusammen: „Ein jeder soll also von sich aus…in der Freude des Hl. Geistes etwas als Opfer darbringen…und harre in Freude und Sehnsucht des Geistes dem heiligen Osterfest entgegen.“ Sich selbst darbringen –dieses Opfer will eingelöst werden, jeden Tag neu und zumeist in ganz kleinen Dingen. Versuchen wir das, was uns bedrückt, was uns müde macht, was uns fern hält von der Freude des Herzens, auf den Altar Gottes zu legen oder ans Kreuz Christi zu heften.

Wie können wir das konkret tun? Schauen wir einmal auf das, was der Apostel Paulus den Thessalonichern kurz und bündig ins Stammbuch schreibt: „Freut euch zu jeder Zeit. Betet ohne nachzulassen. Dankt für alles.“

Versuchen wir, dankbare Menschen zu werden, denn in der Dankbarkeit wird uns die Freude mitgeschenkt. Wir haben so viel Grund zur Dankbarkeit, im Kleinen wie im Großen. Fragen wir uns am Ende eines jeden Tages im Gebet, wofür wir heute Grund zum danken haben. So werden wir wirklich frohe Menschen, die Freude ausstrahlen und die auch den anderen freundlich und geduldig begegnen.

Blaise Pascal, der große Mathematiker und überzeugte Christ, hinterließ das schöne Wort: „Der Mensch ist für die Freude geboren“. Und Paul Claudel fügte dem in einem Bittgebet hinzu: „Herr, lehre die Christen, dass sie keine andere Aufgabe haben als die Freude.“

Sr. Philippa Rath OSB

Das Wort „Erinnern“, „Erinnerung“ kommt vom „Inneren“, d.h. es hat zutiefst mit uns selbst zu tun. Erinnerungen sind ein Teil unserer selbst, gehören zu unserem Inneren und bringen sich in Er-Innerung. Unser Gedächtnis ist dabei so etwas wie ein lebendiger Speicher – wie er genau funktioniert, das weiß die Wissenschaft bis heute kaum. Durch Anstöße, seien es Bilder, Worte oder bestimmte Reize, kann der Speicher, der vielfach auf unbewusste Weise wirkt, aktiviert werden. Aus dem Dunkel des Vergessens tauchen dann mit einem Male Dinge wieder auf, die scheinbar vergessen waren, und können manchmal erschreckend aktuell werden. Unser Erinnerungsvermögen bereitet uns manche, durchaus auch nicht immer liebe Überraschung. Einerseits klagen wir über Vergesslichkeit, andererseits wundern wir uns nur allzu oft, was aus den Tiefen der Seele aufsteigen und uns erfreuen, aber auch beunruhigen und ängstigen kann. Ein interessanter Aspekt scheint mir in diesem Zusammenhang, dass unser Erinnerungsvermögen nicht nur durch das kognitive Denken, sondern auch und vor allem durch unsere fünf Sinne aktiviert werden kann. Unsere Sinne sind sozusagen Gedächtnisträger. Wir sehen ein bestimmtes Bild, ein Gesicht, eine Landschaft – und erinnern uns. Wir hören einen bestimmten Ton, eine Melodie, ein Lied – und erinnern uns. Wir nehmen einen bestimmten Geruch oder Duft wahr – und erinnern uns. Wir erfühlen oder ertasten eine bestimmte Oberfläche, einen Stoff, eine Form – und erinnern uns. Wir schmecken einen bestimmten Geschmack, eine Nuance in einem Gericht oder einem Getränk – und erinnern uns. Was ist das, was sich da in unserem Herzen, in unserem Gemüt, in unserer Seele abspielt? Scheinbar längst Vergessenes kommt mit einem mal wieder an die Oberfläche, und wir erinnern uns unserer Gefühle und Empfindungen von damals – allerdings und das scheint mir wichtig zu sein, ohne sie jetzt, hier und heute direkt und hautnah zu fühlen. Wir können die Empfindungen von damals nur „nach-empfinden“, sie wieder in unserem Inneren erspüren, uns ihrer er-innern. In der zeitlichen Entfernung ordnen und bewerten wir sie und damit bekommen sie eine neue Bedeutung. Weiterlesen