Predigt von Sr. Petra Knauer OSB anlässlich der Laurenzi-Wallfahrt in Gau-Algesheim

Predigt, gehalten von Sr. Petra Knauer am 13.08.2023 in der Hl. Messe anlässlich der Laurenzi-Wallfahrt in Gau-Algesheim, Bistum Mainz

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Kürzlich las ich von einem Fernsehquiz, wo die Kandidaten berühmte Werke der Weltliteratur anhand des ersten Satzes erkennen mussten. Ich könnte mir vorstellen, wenn uns heute nur die Worte „Wenn das Weizenkorn…“ vorgelegt worden wären, hätten viele, vielleicht die meisten von Ihnen gleich gewusst, worum es sich handelt: das berühmte Gleichnis Jesu vom Weizenkorn.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber manchmal merke ich bei mir, wenn ein so bekannter Text wie das heutige Evangelium auftaucht, dass ich gleich beim ersten Satz schon abschalte: Kenn ich ja! Die Worte fallen durch wie abgegriffene Geldstücke früher durch einen Münzautomaten.

Doch diesmal erinnerte ich mich an etwas, das Sie vielleicht auch erlebt haben in ihrer Kindheit: im Biologieunterricht haben wir Bohnen beim Keimen beobachtet, was für mich äußerst eindrücklich war: wie die makellose Bohne aufbricht, sich Wurzel und Keim herausschieben und am Ende nur noch die schrumpelige, trockene und leere Hülse der Bohne am ersten Blättchen hängen bleibt, bis auch sie zerfällt. So ähnlich wie die leere Puppe beim Schmetterling…

Ich frage mich, was uns Jesus mit diesem Bild, dieser Metapher sagen möchte.

Ein Weizenkorn kann ja auch gemahlen werden, dann dient es zusammen mit vielen anderen als Nahrung – und dieses Bild wird uns in der Eucharistie gezeigt. Aber das Sterben – das in die Erde gesenkt werden des Weizenkornes hat andere Folgen. Es findet eine Umwandlung statt – wir nennen es Verwesung. Paulus bezieht sich auf dieses Bild, wenn er zur Streitfrage der Auferstehung den Korinthern schreibt: (1 Kor 15,35-38) Nun könnte einer fragen: Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? Du Tor! Auch das, was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du säst, ist noch nicht der Leib, der entstehen wird; es ist nur ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ein Weizenkorn oder ein anderes. Gott gibt ihm den Leib, den er vorgesehen hat, und zwar jedem Samen einen eigenen Leib.

Jesus sagt uns also, dass unser Tod nur eine Umwandlung, eine Verwandlung ist, dass aus unserem Leib, der in die Erde gesenkt wird und vergeht etwas anderes, völlig Neues erwächst. Das kann uns Trost und Hoffnung sein, wenn wir geliebte Menschen zu Grabe tragen müssen – und natürlich auch im Hinblick auf unseren eigenen Tod.

Aber Jesus sagt noch etwas Anderes: Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer es aber in dieser Welt geringachtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.
Das stellt unser normales Denken auf den Kopf, so wie Laurentius das Denken eines raffgierigen Kaisers auf den Kopf stellte, ihn vor den Kopf stieß: Wer käme schon auf den Gedanken, dass die Armen und Ausgegrenzten  den Reichtum der Kirche darstellen? Laurentius achtete sein eigenes Leben gering, indem er die Schätze, auf die der Kaiser begierig war, an die Armen verteilte. Er nahm es in Kauf, von dem geprellten Machthaber dafür getötet zu werden. Wohl, weil er um einen anderen, ungleich viel größeren Schatz wusste: den im Himmel. Und sein Herz war dort, wo sein Schatz war.

Könnte Jesus das gemeint haben: wenn Ihr so leben wollt, wie ich – das bedeutet nachfolgen – dann dürft ihr nicht auf Kosten anderer leben, sondern sollt zugunsten anderer euer Leben hingeben, sterben? Doch wie könnte das aussehen – für uns heute?

Wenn wir unser Leben anschauen, entdecken wir sicher genug Situationen und Momente, Zustände und Verhältnisse, in denen wir auf Kosten anderer leben.
Ein Beispiel: am 2. August ist in diesem Jahr der Erdüberlastungstag gewesen, an dem eigentlich alle für dieses Jahr zu Verfügung stehenden Ressourcen aufgebraucht waren. Wenn alle so aufwendig leben würden wie wir in Deutschland, wäre der Tag sogar schon am 4. Mai gewesen. Heute ist der 13. August – das heißt, wir leben schon über 10 Tage „auf Pump“, auf Kosten anderer, vor allem der ärmeren und weniger industrialisierten Länder und – was uns noch viel näher ist –  auf Kosten der nachfolgenden Generationen.

Papst Franziskus weist in seiner Enzyklika „Laudato Si“ immer wieder darauf hin, dass es uns nicht gleichgültig sein darf, wie wir unseren Planeten den kommenden Generationen überlassen. Wir haben diese Erde mit all ihrem Reichtum als Geschenk empfangen und tragen Verantwortung dafür, wie wir damit umgehen.

Er sagt: Wenn die Erde uns geschenkt ist, dann können wir nicht mehr von einem utilitaristischen Kriterium der Effizienz und der Produktivität für den individuellen Nutzen her denken. Wir reden hier nicht von einer optionalen Haltung, sondern von einer grundlegenden Frage der Gerechtigkeit, da die Erde, die wir empfangen haben, auch jenen gehört, die erst noch kommen.

Wir alle wissen, wie Klimakatastrophe und Ressourcenknappheit aufzuhalten wären: wir müssten uns mehr einschränken, freiwillig einen anderen Lebensstil praktizieren, wie Papst Franziskus weiter schreibt:

Eine Änderung der Lebensstile könnte dazu führen, einen heilsamen Druck auf diejenigen auszuüben, die politische, wirtschaftliche und soziale Macht besitzen. Das ist es, was die Verbraucherbewegungen erreichen, die durch den Boykott gewisser Produkte auf das Verhalten der Unternehmen ändernd einwirken und sie zwingen, die Umweltbelastung und die Produktionsmuster zu überdenken.

Eine Änderung der Lebensstile hat natürlich auch einen unmittelbaren Effekt: wenn wir unseren CO2-Abdruck klein halten, wenn wir die kostbare Ressource Trinkwasser nicht verschwenden, wenn wir Dinge recyceln oder mehrfach benutzen – hat das direkte positive Auswirkungen. Und je mehr mitmachen, umso größer die Wirkung.
Das bedeutet Einschränkungen auf uns nehmen und auch, unser gewohntes Leben zu lassen, diesem Leben mit seinem übertriebenen Konsumverhalten den Rücken zu kehren, umzukehren, und nach anderen Werten zu leben.

Nach P. Franziskus geht es um eine ökologische Umkehr.

Diese Umkehr setzt verschiedene Grundeinstellungen voraus, die sich miteinander verbinden, um ein großherziges und von Zärtlichkeit erfülltes Umweltengagement in Gang zu bringen. An erster Stelle schließt es Dankbarkeit und Unentgeltlichkeit ein, das heißt ein Erkennen der Welt als ein von der Liebe des himmlischen Vaters erhaltenes Geschenk. Daraus folgt, dass man Verzicht übt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, und großzügig handelt, auch wenn niemand es sieht oder anerkennt: „Deine linke Hand [soll] nicht wissen, was deine rechte tut und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten“

Liebe Schwestern und Brüder, Sie haben heute Morgen viele Tiere segnen lassen, ein Zeichen, dass Ihnen Gottes gute Schöpfung wichtig ist. So möchte ich Sie einladen, noch einen Schritt weiter zu gehen. Lassen Sie uns nicht auf Kosten dieser Schöpfung, der Ressourcen unserer Erde und den Lebensmöglichkeiten unserer Kinder und Enkel leben, sondern lassen Sie uns heute beginnen, unser Leben zu ändern, unsere kostspieligen Gewohnheiten Stück für Stück abzulegen, der Logik eines egozentrischen Nutzdenkens zu entsagen – auch wenn das vielleicht kleine Tode in unserem Alltag bedeutet. Wir haben die Gewissheit, dass erst so Leben möglich wird und dass Jesus Christus uns auf diesem Weg mit seiner Liebe und seinem Geist begleitet.