“Scivias”-Kodex: Tafel 32: Das Ende der Zeiten

Alles strebt dem Ende zu, wenn die Erde dem Zerfall ihrer Kräfte entgegengeht. Thema dieser Miniatur: Gott lässt dem Kommen des Antichristen fünf endzeitliche Reiche in den fünf Tiergestalten vorausgehen. In den endzeitlichen Ereignissen führt er den Menschensohn und die Kirche ihrer Vollendung entgegen. Im Sieg über den Antichristen, der als „ Sohn des Verderbens“ die Heilstaten des Sohnes Gottes nachäfft, vernichtet er den Teufel endgültig.
Der obere Abschnitt links zeigt in der Miniatur die fünf Zeitalter in den verschiedenen Tiergestalten, die an fünf Gipfeln eines Berges gefesselt sind. (eine bestimmte Zeitspanne)
Das eine Zeitalter ist wie ein feuriger Hund, weil dieser Zeitabschnitt bissige Menschen in die Welt setzen wird. Das Zeitalter; das wie ein dunkelgelber Löwe dargestellt ist, spricht von kampflustigen Menschen, die viele Kriege entfachen und nicht das Recht Gottes beachten. Ein anderes gleicht einem fahlen Pferd, das in der Sündenflut der Ausschweifung seine Kraft verliert. Das nächste Zeitalter gleicht einem schwarzen Schwein, das sich im Kot der Unreinheit wälzt mit führenden Persönlichkeiten in der Schwärze der Schwermut. Das göttliche Gesetz schieben sie auf die Seite. Das fünfte Zeitalter, das einem grauen Wolf gleicht, ist von Menschen geprägt, die viel Raub an der Macht betreiben. Sie stürzen die Häupter jener Reiche und teilen sie auf. Viele sind verunsichert durch die Irrtümer, die sich von der Unterwelt bis zum Himmel erheben. Die Kinder des Lichtes werden in die Kelter ihrer Leiden geworfen, weil sie den Sohn Gottes nicht verleugnen und den Sohn des Verderbens verwerfen. Die Tiere wenden sich gegen Westen, denn diese vergänglichen Zeiten schwinden mit der untergehenden Sonne dahin.
Im Osten (rechter Bildabschnitt) wird der Menschensohn erneut sichtbar in einem Verbindungswinkel des Heilsgebäudes in einer purpurroten Tunika. Vom Nabel abwärts leuchtet er teilweise wie Morgenrot, d.h. vom Blut der Märtyrer, die mit ihrem Glaubenszeugnis Gott loben. Darauf weist die Lyra auf dem Schoß des Gottessohnes hin. Er ist auch umschattet von verunsicherten Menschen in der Kirche. Seine Füße, die weißer als Milch erscheinen, bedeuten, dass nach der Verwerfung des Sohnes des Verderbens der Menschensohn vor dem Ende der Welt im katholischen Glauben aufstrahlen wird. So wird man durch ihn klar die Wahrheit erkennen.
In der zweiten Hälfte der Miniatur richtet sich der Blick auf dieselben Ereignisse aus der Sicht der Kirche als Braut des Sohnes Gottes. Die Frauengestalt der personifiziert gedachten Kirche, die bisher nur bis zum Nabel erschien, zeigt sich nun vom Nabel abwärts.
Ihr Oberkörper strahlend vom Licht des Himmels gekrönt in der Orantenhaltung, zeigt von der Taille an verfärbte schuppige Flecken. Bis zu den Knien ist sie weiß und rot, wie von vielen Schlägen hart mitgenommen, von den Knien bis zu den weißen Füßen , ist sie blutig von den Leiden der Glaubenden. Im Unterleib der Kirchengestalt sitzt ein unförmig pechschwarzes Haupt mit feurigen Augen, eselsgleichen Ohren, Nase und Rachen wie ein Löwe mit weitaufgerissenem Maul und fletschenden Zähnen. Es ist der Sohn des Verderbens. Der gefallene Lichtengel Luzifer hatte nach seinem Sturz angekündigt, er werde nun seinen Kampf gegen Gott über und durch den schwachen Menschen führen. „Ich will meine Herrschaft im Schoß der Frau errichten.“ Was immer der Sohn der Bosheit tut, der aus der Kirche hervorgeht, wirkt er mit Gewalt, Stolz und Grausamkeit. Er drängt die Menschen mit einem Befehl und großer Verblüffung dazu, ihm zu folgen. Er äfft den Sohn Gottes nach.
Zu einem bestimmten Zeitpunkt nach vielen Verführungskünsten hat sich das unförmige Haupt mit großem Getöse von seiner Stelle gelöst, wie die Miniatur zeigt.
Das schwarze Haupt mit einer Unmenge von Kot hat sich wie über einen Berg erhoben, als ob es zur Himmelshöhe aufsteigen wollte. Doch die Macht Gottes (gelber Lichtstrahl im Bild) stürzt den Sohn des Verderbens. Am Boden liegt er vernichtet durch den endgültigen Schlag Gottes.

Ein übelriechender Dunst ergreift den ganzen Berg, und das Haupt ist von großem Schmutz bedeckt. Die anwesenden Menschen sprechen: „Weh uns! Was ist geschehen? Großes Entsetzen und Klagen kennzeichnet die Dabeistehenden. Nach der Niederstreckung des Sohnes des Verderbens, des Antichristen, erscheinen die Füße der Frauengestalt weiß. Viele der Verirrten kehren zur Wahrheit zurück.

Sr. Hiltrud Gutjahr OSB