Bautagebuch

Während der Bauzeit der Abtei St. Hildegard wurde ein sog. Bautagebuch geführt, das kurz und knapp, oft nur in einzelnen Stichworten, aber mit fast täglichen Einträgen den Baufortschritt dokumentiert. Dieses Bautagebuch ist ein außergewöhnlich genaues Zeugnis für die Art und Weise des Bauens um 1900. Wir feiern in diesem Jahr 125 Jahre Grundsteinlegung. Mit dem 2. Juli 1900 begann ein fünf Jahre langer Weg des konkreten Aufbauens eines neuen Klosters St. Hildegard, nachdem der Rupertsberg 1632 zerstört und das Eibinger Kloster 1814 endgültig aufgehoben wurde. Wir laden Sie ein ein, diesen Weg des Aufbauens mit uns zu verfolgen. Es ist ein interessantes Zeitzeugnis der damaligen Bautechnik, außerdem aber auch eine sozialgeschichtliche Quelle erster Ordnung, wenn von Drohbriefen der Arbeiter an den Polier, der Sozialversicherung der italienschen Gastarbeiter oder vom Zustand der Straßen in Eibingen berichtet wird. 

Bautagebuch 4. Woche

4. Woche 18. – 23. Juni

Kalkzufuhr u. Kalklöschen; Fortsetzung der Erdarbeiten. Am Dienstag, d. 19. wurden die ersten Mauersteine der Straßenmauer verlegt. Es wird ein Schienenweg hergestellt vom Steinlagerplatz bis zur Verwendungsstelle. H. Schäfer läßt den Weg unten an der Krümmung breiter machen.
Am 21. die ersten Mauersteine in die Absidenfundamente.
Am Freitag d. 22. erster kleiner Unfall mit dem Rollwagen infolge Unachtsamkeit der Arb. u. Schlüpfrigkeit des Weges nach mehreren Regengüssen; jedoch ohne Schaden. Das Sichtmauerwerk in Schichten beginnt. Wetter etwas veränderlich; mehr Gewitterregen.

Herr Schäfer war ein Eibinger Bürger, der für die Äbtissin von St. Gabriel vor Ort die Bewirtschaftung der Weinberge, in die das Kloster mitten hinein gebaut wurde, übernommen hatte. Vermutlich handelt es sich um Georg Schaefer (1829-1908). Im Archiv der Abtei sind 11 Briefe erhalten, die als „Briefe des Eibinger Bürgermeisters Georg Schäfer nach St. Gabriel u. Emaus 1897-1904“ beschriftet sind. In der offiziellen Liste der Eibinger Bürgermeister ist er jedoch nicht genannt.
Im Kloster sind mehrere extrem stabile Rollwagen erhalten. Natürlich ist nicht sicher, ob es die genannten Schienenwagen sind. Der größte von ihnen ist im Friedhofskeller in den Boden einbetoniert und dient als Tisch.

Bautagebuch 3. Woche

3. Woche 11. – 16. Juni

Fortsetzung obiger Arbeiten. Am 14. Fronleichnamsfest. Am 16. kam Ven. Fr. Ludger mit seinem künftigen Stellvertreter an.
Sandzufuhr. Erdausheben; Arbeit an der Bauhütte. Die Arbeiterzahl beträgt: ca. 20 Grabarbeiter, 12 Mann in beiden Steinbrüchen, 10 Maurer, von denen mehrere beim Sortieren der Bruchsteine u. Aufschichten derselben beschäftigt sind, einige Lehrknaben, im Ganzen ca. 40 Arbeiter.
Die Ausgrabung der Fundamente für die Straßenmauer ist beendigt.

Nach nur drei Wochen Bauzeit, es wird noch an der Bauhütte selbst gearbeitet, ist das Ausheben der Fundamente für die Straßenmauer beendet. Der Arbeitseinsatz muss immens gewesen sein. Auch die Steine wurden ja vor Ort gebrochen. Ca. 40 bis 60 Arbeiter ist die Größenordnung über die gesamte Bauzeit. Eine Radierung von 1903 zeigt die damalige Lage des Steinbruchs.
Ven. Fr. Ludger ist die respektvolle Anrede des Mönchs: Venerabilis Frater Ludger. Ehrwürdiger Frater, d.h. noch nicht Priester.

Bautagebuch 2. Woche

2. Woche 5. bis 9. Juni

Erdaushebung für die Fundamente. Erbauung einer Bauhütte mit 2 Zimmern für den Polier, ein Zimmer als Bureau, 1 Geschirrkammer u. 1 Arbeiterhalle; Feldschmiede u. Abortanlage. Steinbrechen.

Aus dem Jahr 1901 ist ein Lageplan erhalten, auf dem die Bauhütte lokalisiert ist. Die Feldschmiede ist mit Abstand von den anderen Räumen angelegt, um vor Unfällen mit dem offenen Feuer zu schützen. Die Abortanlage, auf dem Lageplan ganz in der Ecke des Grundstücks, ist auf dem Plan als Retirade beschriftet. So ganz nebenbei gilt es beim Baufortschritt, den Wortschatz um „neue“ alte, ungebäuchlich gewordene Worte zu erweitern: Retirade ist ein militärischer Begriff und bedeutet Rückzug, Zurückweichen, Sichentfernen von einem Ort. Und dann übertragen, verhüllend: sanitäre Vorrichtung, Toilette.

Bautagebuch 1. Woche

1. Woche vom 28. Mai bis 2. Juni 1900

Abstecken der Maße durch H. Architekten Ehrw. Fr. Ludger. Beginn der Erdarbeiten. Zufuhr von Gerüstmaterialien und Geräten. Steinbruch abräumen; Eröffnen eines zweiten Steinbruchs. Am 3. Juni Pfingstfest.

Der Verfasser des Bautagebuchs ist der „klösterliche Bauleiter“ Bruder Clemens Kleiner OSB aus Prag, Abtei-Emaus, * 01.04.1850, Profess 01.12.1878, † 04.02.1939.
Vor seinem Klostereintritt war er Lehrer. Weil sein Gehörleiden sich verschlechterte und später zur völligen Ertaubung führte, musste er die Priesterausbildung abbrechen und wurde als Laienbruder der Beuroner Kunstschule zugeteilt. 1876 reiste er mit der Künstlergruppe zur Ausgestaltung der Toretta nach Montecassino. Dort blieb er, bis er 1885 den Auftrag erhielt, sich in das Baufach einzuarbeiten, um als Werkzeichner und Bauleiter bei den verschiedenen Klosterneubauten der Kongregation tätig werden zu können. Er arbeitete am Wiederaufbau der Türme in Seckau, dem Bau der Abtei St. Gabriel in Prag und vor allem leitete er den Bau der Abtei St. Hildegard. Viele weitere Stationen folgten, auch außerhalb der Kongregation z. B. in Prag und Wien. Ab 1919 lebt er in der Abtei Neresheim, wo er neben der Leitung von Bauarbeiten wieder als Lehrer wirken konnte, denn er unterrichtete an der landwirtschaftlichen Winterschule das Fach Bauzeichnen. Dort starb er 1939 im Alter von 88 Jahren.

Der ausführende Architekt war Ludger Rincklake OSB, Maria Laach, * 09.06.1851, Profess 15.08.1898 † 28.09.1927. Zur Zeit der Grundsteinlegung war er noch in der klösterlichen Ausbildung. Wilhelm Rincklake, geboren in Münster (Westfalen) gehört zu den wichtigsten Vertretern der Neuromanik und der Neugotik in der Sakralarchitektur Westfalens. Sein älterer Bruder August Rincklake war ebenfalls Architekt und führte nach dem Eintritt Wilhelm Rincklakes in den Benediktinerorden dessen Architekturbüro in Münster fort.