Ansprache von Äbtissin Clementia Killewald OSB anlässlich der Gründung des Vereins der Freunde der Benediktinerinnenabtei St.Hildegard e.V. am 11. Oktober 2001

 

Sehr verehrte, liebe Gäste, liebe Freunde unseres Hauses,

in einer Zeit, die sich erschreckend feindselig präsentiert, in der Terror und Krieg schon fast zum Alltag gehören, eine Zeit, in der ein schmerzhafter Riss zerstörten Vertrauens durch die Völkergemeinschaft geht, sind Sie heute zu uns gekommen, um einen Freundeskreis der Abtei St.Hildegard zu gründen. Von Herzen danke ich Ihnen für Ihr Kommen, auch im Namen unserer ganzen Gemeinschaft. Ich danke Ihnen für Ihr Wohlwollen, Ihre Bereitschaft mit uns zu gehen, Ihre Freundschaft, die zum Teil schon über mehrere Generationen währt. Sie ist für uns nichts Selbstverständliches, sondern ein kostbares Geschenk.

Warum, so habe ich mich gefragt, gründen wir erst heute, fast 100 Jahre nach unserem Einzug in dieses Haus, fast 100 Jahre nach der Neugründung unserer Abtei einen Freundeskreis? „Die Geschichte eines Hauses ist die Geschichte seiner Bewohner. Die Geschichte seiner Bewohner ist die Geschichte ihrer Zeit. Und die Geschichte ihrer Zeit ist die Geschichte Gottes.“, sagt Wilhelm Raabe. Eine Abtei war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ähnlich wie eine Familie eine kleine Welt für sich. Eine Ecclesiola innerhalb der großen Kirche, von ihr getragen und doch selbständig, exemt. Eine monastisch-kontemplative Gemeinschaft war eine geschlossene Gemeinschaft, und in dieser Geschlossenheit lag auch ihre Kraft.

Geschlossen bedeutet nicht verschlossen. Wir haben, wenn ich das richtig sehe, immer sehr herzliche und gute Beziehungen zu unserer Stifterfamilie, den Fürsten zu Löwenstein, gehabt, noch vertieft durch den Eintritt unserer Schwester Monika zu Eltz, der Enkelin des Stifters. Wir waren immer in Verbindung mit unseren Bischöfen, der Ortsgemeinde und der Abtei Maria Laach. Und wir hatten auch viele Freunde, die wir unter dem Namen Wohltäter – Benefactores – mit ihren Anliegen in Dankbarkeit vor Gott brachten und denen wir bis heute viel zu danken haben. Die Geschichte unserer Zeit brach auch in die Geschlossenheit unseres Monasteriums ein, als die Gemeinschaft 1941 von der Gestapo vertrieben wurde. Sie fand schwesterliche Aufnahme bei verschiedenen apostolischen Gemeinschaften, und die Verbundenheit mit den Armen Dienstmägden Jesu Christi in Dernbach, den Franziskanerinnen in Waldbreitbach und den Borromäerinnen in Bingen ist bis heute geblieben. 1945 kehrten unsere Mitschwestern zurück und nahmen das monastische Leben wieder auf.

Doch die Gemeinschaft war eine andere geworden. Unter unserer 2.Äbtissin, Mutter Fortunata Fischer, wurde die Trennung zwischen Chorfrauen und Laienschwestern aufgehoben und 1967 kirchlich bestätigt. Nach dem Konzil wurden die Beziehungen zwischen den Abteien der Beuroner Kongregation immer freundschaftlicher und offener. Hatten wir bis dahin in freundlicher Distanz nebeneinander hergelebt, jede Gemeinschaft bedacht auf ihre Eigenart, so brachten Äbtekonferenzen, Treffen der Ökonominnen und jährliche gemeinsame Studientage für die Novizinnen eine ganz neue Annäherung unserer Klöster. In einer neuen Weise nahmen und gaben wir teil an den Fragen der Gegenwart, an Sorgen, Nöten und notwendigen Entscheidungen. Die Eigenart eines jeden Klosters blieb bewahrt, was sich vor allem in der Gestaltung der Liturgie niederschlug. Aber diese Unterschiede trennten uns nicht mehr.

Unsere Gemeinschaft entschloss sich, beim lateinischen Chorgebet zu bleiben und durch die Erstellung eines deutsch-lateinischen Psalteriums und eigener Faszikel für die Gäste die Vorgaben des Konzils einzubringen und die „participatio actuosa“ zu ermöglichen. So sind wir in eine größere Offenheit hineingewachsen, in die Einsicht, dass wir keine kleine, autarke und geschlossene Welt mehr sind, dass die Geschichte unserer Zeit auch unsere Geschichte ist, dass wir Freunde brauchen, um in dieser Welt bestehen zu können.

Auch die Welt hatte Erwartungen an uns. Zunächst anfanghaft im Hildegard-Jubiläumsjahr 1979 – entscheidend aber seit dem 900. Geburtsjubiläum unserer Klosterpatronin 1998 und seiner Vorbereitung – sind neue Anfragen und neue Aufgaben an uns herangetragen worden. Durch die zahlreichen Besucher, die in diesem Jahr zu uns kamen, 200.000 allein im Hildegard-Jubiläumsjahr 1998, erfuhren wir von der Verunsicherung und Suche nach Orientierung der heutigen Menschen. In Vorträgen und Seminaren versuchten wir, Hilfen anzubieten und benediktinische Werte wie Beständigkeit, „Discretio“ (weise Maßhaltung), Ehrfurcht und eine bewusste Lebensordnung und Lebensgestaltung aus der Liturgie den fragenden Menschen nahe zu bringen. Die Hildegard-Forschung wurde vorangetrieben und mehrere Mitschwestern beschäftigten sich intensiv mit dem Leben und den Werken Hildegards, um ihre erstaunlich zeitgemäße Lehre ins Heute zu erschließen. Aus dieser Zeit stammen auch viele Kontakte mit unserer Ortsgemeinde und über den Rhein nach Bingen bis nach Mainz. Wir freuen uns daher sehr, dass wir hier und heute an diese Kontakte anknüpfen können und alte Freunde und „Mitkämpfer“ aus dem Jubiläumsjahr unter uns haben.

Im Jahr 2000 waren wir im Christuspavillon der EXPO sechs Monate lang engagiert und haben dort nicht nur reiche ökumenische Kontakte geknüpft, sondern auch festgestellt, dass der Kirche Fernstehende sich heute ganz neu für unsere benediktinischen Werte interessieren. Seit nunmehr drei Jahren veranstalten wir im September „Tage der offenen Tür“, an denen wir den Menschen teil geben an unserem Beten und Arbeiten. Eine Mitschwester von uns ist inzwischen als Krankenhausseelsorgerin tätig, eine andere arbeitet in der Militärseelsorge. Regelmäßig folgen unsere Hildegard-Expertinnen Einladungen zu Vorträgen auf Symposien und anderen Veranstaltungen. Den zunehmenden Bitten nach geistlicher Begleitung und Exerzitien versuchen wir hier vor Ort nachzukommen. Über unsere Homepage hat sich seit einem Jahr sozusagen ein virtueller Freundeskreis begründet. Viele Menschen, mit denen wir via Internet in Kontakt sind, warten schon auf die offizielle Gründung des Freundeskreises und möchten Mitglied werden.

Wie verstehen wir einen solchen Freundeskreis? Mir kam das Symbol der Brücke in den Sinn. Die Brücke verbindet getrennte Ufer, dient der Einheit, vermag das Entfernte anzunähern – sie ist somit ein Zeichen der Hoffnung auf Zukunft. Wir brauchen eine Brücke, die uns mit der modernen Welt verbindet, damit wir unseren eigenen Weg in die Zukunft gehen können. Im Letzten sehen wir unseren Auftrag ganz einfach darin, die Welt an Gott zu erinnern, ihr mit unseren schwachen Kräften, in aller Angefochtenheit auch einen Weg in die Zukunft zu zeigen.

Wir gründen einen Freundeskreis. „Einen anderen Grund vermag niemand zu legen als den, der gelegt ist, und das ist Jesus Christus“ (1 Kor 3,11). Auf diesem Grund wollen wir es wagen, unsere Geschichte fortzuschreiben – mit Ihrer Hilfe.

Ich danke Ihnen sehr.