BLEIBEN
Das Wort „Bleiben“ findet sich in der Bibel 864 x in den verschiedensten Formen. Bleiben scheint somit ein Urwort des menschlichen und geistigen Lebens zu sein.

Vor einiger Zeit habe ich eine „Installation der Bleibenden“ geschaffen. In ihrer künstlerischen Form symbolisiert die Figurengruppe als Raum bildende Säulen: Treue, Feststehen, Ausrichtung nach oben, Aushalten, Geradheit und Ruhe. Sie will in einer Welt, die sich nicht um das Bleibende, sondern um das das Flüchtige, Wandelbare, Sich- stets- Verändernde dreht, einen Raum schaffen, der nicht nur zum Bleiben und Schauen anregt, sondern auch zum Suchen nach dem Bleibenden und dem Wesentlichen.

Im Nachdenken über die Frage nach dem Bleiben und dem Bleibenden bin ich immer tiefer hineingeraten in die grundsätzlichen Fragestellungen unseres Lebens. Die Frage eines jeden Menschen nach seiner Person, nach Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis ist immer die Frage nach dem Grund unseres Daseins, nach dem Wesen, dem Bleibenden , nach Gott also.

Wir sind auf dem Weg zum bleibend Ewigen, aber wir haben es noch nicht erfasst. Jeder Schritt muss von jedem einzelnen von uns selbst getan und gewagt werden. Suchen, was Bleibt, ist Suchen nach Gott, ist Sehnsucht nach Gott.

Unser Ordensvater, der hl. Benedikt, hätte sicher nicht die Stabilitas, die Beständigkeit zu den monastischen Gelübden gezählt, wenn uns das Bleiben, der Bestand, die Festigkeit, die Heimat, oder welche Umschreibung wir auch für dieses vielschichtige Wort nehmen mögen, von Geburt an mitgegeben oder durch den Glauben in Fleisch und Blut übergegangen wäre.

Von Natur aus sind wir unbeständige, unruhige Wesen. Die Selbstentfremdung ist etwas, was uns wesentlich ist. Wir spüren es täglich im Alltag, in den Beziehungen, in der Arbeit: wir sind irdisch, und sind geistig orientiert. Bleibend ist uns dieser Zwiespalt, zwischen Himmel und Erde zu leben. Wohl uns, wenn wir diese Unruhe wie einst der hl. Augustinus nutzen, um sie in Sehnsucht und in die Suche nach Gott umzuwandeln.

Denn da, wo wir das Haus, die Ordnung, die Beständigkeit zu sehr lieben, neigen wir oftmals dazu, starr und unbeweglich zu werden. Dann wird die Alltäglichkeit zur Ewigkeit stilisiert, die unverrückbar ihre Ordnung will. Dann kann das Leben auch zur Qual werden. Die Suche nach dem Bleibenden ist uns Notwendigkeit und Not, die Sehnsucht ist uns bleibend eingeprägt.

Während im Altgriechischen mit „Bleiben“ ein eher statisches, d. h. unbewegliches, festes Verhalten gekennzeichnet ist, ist der Bedeutungsgehalt im Hebräischen eher dynamisch, d. h. in Bewegung, zu verstehen. In beiden Fällen ist „Bleiben“ ein Verb, das in der Frühzeit hauptsächlich auf Gott und die Götter angewandt wird und als ein göttliches Prinzip gilt. „Bleiben“ als eine besondere göttliche Eigenschaft, drückt im Griechischen wie Hebräischen das Bewusstsein aus, was Menschen positiv als Sicherheit, Klarheit, Stärke und Heimat verstehen und suchen. Der Mensch strebt nach dieser Festigkeit und sucht es Gott und den Göttern gleich zu tun, um in der Unbeständigkeit des weltlichen Lebens Sicherheit zu finden.

Im Johannesevangelium ist das Wort „bleiben“ das prägende Wort und spiegelt die Verbindung von griechischem und hebräischem Denken, das darin göttliche Eigenschaften sieht, die uns Menschen durch Jesus Christus vermittelt werden.
Auch in der Weisheitsliteratur des Alten Testamentes spielt der Begriff „Bleiben“ eine wichtige Rolle und ist eng mit dem Johanneischen „Bleiben“ verknüpft. Die Sophia, die Weisheit, um die sich die Weisheitsliteratur in den verschiedensten Formen dreht, setzt als eine Form der Weisheit das Bleiben bei sich selbst voraus. Auch der hl. Benedikt greift diesen weisheitlichen Begriff in seiner Regel auf. Bei sich bleiben und bei Gott bleiben bilden dabei eine untrennbare Einheit.

Der hl. Augustinus schrieb in seinen Bekenntnissen (10, 26):

„Wo also habe ich Dich gefunden– [gemeint ist Gott] – , dass ich Dich kennen lernte? Denn in meinem Gedächtnis warst Du ja nicht, ehe ich Dich kennen lernte. Wo also habe ich Dich gefunden, dass ich Dich kennen lernte? Wo anders als in mir, über mir? Nirgends ist der Ort; wir gehen weg, wir gehen hin; und nirgends ist der Ort. O Wahrheit, allenthalben ist Dein Stuhl für alle, die Dich fragen, und an alle, die so vielerlei Dich fragen, ergeht Dein Antwortspruch zumal. Klar gibst Du Antwort, aber nicht hören alle es klar. Alle fragen dich, was sie wissen wollen, aber nicht immer hören sie, was sie hören wollen. Der ist dein bester Diener, der nicht das von dir zu hören trachtet, was er sich selber wünscht, sondern das zu wollen, was er von dir hört.“

Die Sehnsucht nach dem Bleiben und dem Bleibenden lässt uns Bilder schaffen, oder Bilder suchen. Bilder des Ewigen, des Bleibenden. Bilder von Gott oder von Menschen, von denen wir Glauben, dass dieses Bleibende in ihnen Bestand gewonnen hat. “Alle tiefe Erkenntnis, sogar die eigentliche Weisheit“, so sagt Schopenhauer, „wurzelt in der anschaulichen Auffassung der Dinge. Alles Urdenken geschieht in Bildern“.

So habe auch ich mir und anderen immer wieder solche Bilder und Figuren geschaffen.

Zunächst ging es mir bei der Figurengruppe der Bleibenden um das Finden eines Begriffes, der unsere menschliche Disposition auf Gott hin anzeigt. „Bleiben“, mit seinem räumlichen Aspekt schien mir sehr passend zu sein. Besonders, da die Figuren, im Kreis angeordnet, durch ihre säulenartige Form einen Raum, der das Bleiben als Wohnen, als Ort mit seiner räumlichen Dimension, gut zum Ausdruck bringen.

Ein kurzes Wort zu den Figuren im einzelnen:

Die Säule der hl. Hildegard: Mystik- Bleiben als Standhalten
sie ist hellblau, sie hebt als einzige ihr Gesicht nach oben, sie schreibt, was sie hört und sieht. In ihrer Standhaftigkeit gegenüber einer misstrauischen männlichen Umwelt bleibt sie sich und ihrer Aufgabe treu.

Die Säule des hl. Benedikt: Leben- Bleiben als Beständigkeit
dunkelblau ist sie die einzig sitzende Figur. Als Verfasser der Benediktusregel, unserer Lebensregel, hat Benedikt das „Bleiben- an- einem Ort“ zu eines der drei benediktinischen Gelübde gemacht: nur wer feststeht und bleibt, kann sich selbst, Gott und den Menschen finden.

Die Säule der Maria mit dem Engel: Glauben- Bleiben als Bereitschaft
die Frau steht vor dem Engel. Maria kann ihn nicht sehen, aber die Bereitschaft zu Hören zeigt sich in den offenen Händen. Sie ist nach Oben ausgerichtet, auf Gott hin.

Die Säule des hl. Joseph: Gehorsam- In einer Gesinnung bleiben
er schaut nach unten, eine Taube in der Hand. Von dieser Gestalt der Bibel wissen wir, dass er aus seinen Träumen heraus handelte. Ein Mann, der seine Träume ernst nahm. Gradheit und Eindeutigkeit zeichnen ihn aus.
Die Säule des hl. Johannes: Liebe- Bleiben als Ausharren
die braune Glasur wird, wo sie dick aufgetragen ist, violett. Seine Hände umfassen ein Buch, das Johannesevangelium. Die ganze Gestalt ist in sich gekehrt: zu Bleiben und auch sich selbst auszuhalten ist nicht immer leicht, ist manchmal schwer, wie diese schwere Glasur.

Die Säule der hl. Maria: Einheit- Bleiben als Feststehen.
die zusammengeschlossenen Hände sind ein völlig in sich gesammeltes Stehen, ein Bleiben in der Ruhe, ein In- sich- Ruhen. Die marmorne Glasur verstärkt den Eindruck der Geschlossenheit.

Alle sechs Figuren verkörpern also einen Aspekt des Bleibens. Zugleich stehen sie für das Ganze, denn auch im Fragment kann das Wesentliche und Ganze erfasst werden – eben so, wie auch Gott selbst in allem Geschaffenen erkannt werden kann. Noch einmal möchte ich am Schluss den hl. Augustinus zitieren:

„Was ist es, was ich liebe, wenn ich liebe meinen Gott?…Ich fragte die Erde , und sie sagte mir, ich bin es nicht; und alles was in ihr ist, gestand mir das gleiche.. Ich fragte das Meer und seine Tiefen und das Gekrieche seiner Lebewesen, und sie gaben mir die Antwort: wir sind dein Gott nicht; such droben über uns. Ich fragte die wehenden Winde, und es sprach der ganze Luftbereich mit seinen Bewohnern…ich bin nicht Gott. Ich fragte den Himmel und die Sonne, Mond und Sterne,: auch wir sind nicht der Gott, den du suchst. Und ich sagte zu allen Dingen, die um mich her sind vor den Toren meines Fleisches: so saget mir von meinem Gott, weil nicht ihr selbst es seid, saget mir von ihm doch etwas. Und sie erhoben ein Rufen mit lauter Stimme: „Er ist es, der uns erschaffen hat.“… Und ich wandte mich auf mich und sprach zu mir: wer bist nun du? Und gab zu Antwort: Mensch.“ (Augustinus, Bekenntnisse 10,6).

In diesen Worten spiegelt sich unsere Sehnsucht nach Gott und Gottes Sehnsucht nach uns: unsere Sehnsucht nach dem Bleibenden- um bleiben zu können.
Sr. Christophora Janssen OSB