Convers(at)io morum – Der Weg der Umkehr nach Bernhard von Clairvaux
Zu den großen Gestalten der benediktinischen Ordensgeschichte gehört neben dem heiligen Benedikt ohne Zweifel der heilige Bernhard von Clairvaux. Er lebte uns in seiner Zeit überzeugend vor, was uns in jeder Fastenzeit aufgegeben ist: neu auf das Wort Gottes zu hören, sich ihm neu zuzuwenden und ihm in Wort und Lebenswandel zu folgen. Wie zentral das Thema „conversio – und conversatio für Bernhard war, zeigt bereits die elektronische Konkordanz, die im Umfeld des 900. Geburtstags Bernhards erarbeitet wurde. In seinem umfangreichen Werk erwähnt Bernhard das Wort „conversio“ 397 Mal, das Wort „conversatio“ 341 Mal.
Bernhards Weg der Umkehr war sicher auch eines seiner Motive, den klösterlichen Lebensweg zu beginnen. Jean Leclercq berichtet in seinem Lebensbericht über Bernhard anschaulich davon: „Bernhard machte sich, wie die Legende berichtet, auf den Weg nach Deutschland, aber bald geriet er in eine innere Krise; er ging in eine Kirche, um dort zu beten. So überwand er seine Zweifel und fasste den Entschluss, Mönch zu werden, mehr noch: Er wollte alle seine Brüder zum gleichen Schritt bewegen. Er kehrte um und begann, sie für diese Idee zu begeistern.“ Damit folgte Bernhard dem gleichen Weg wie einst der hl. Benedikt, der sich, wie uns die Vita Benedicti des Papstes Gregor in seinem Buch der Dialoge berichtet, während seiner Studienzeit in Rom nach einer „conversio“ (Vita Benedicti aus Dialoge von Gregor d. Gr.) entschloss, sich zunächst einer Asketengruppe in Effide (Affile) bei Subiaco anzuschließen, dann drei Jahre als Einsiedler in einer Grotte in Subiaco zu leben und später in Montecassino eine klösterliche Gemeinschaft zu gründen. In der monastischen Theologie steht neben dem Begriff „Conversio“ auch der Begriff „Conversatio“ im Mittelpunkt geistlichen Mühens. Deshalb möchte ich nun versuchen, den monastischen Weg der Umkehr, der conversatio, zu umschreiben.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die beiden Begriffe conversio und conversatio bereits bei Benedikt von Nursia zumeist synonym verwandt wurden. Die benediktinische Tradition hat bis in unser Jahrhundert hinein conversatio immer als conversio verstanden. Unter conversatio verstand Benedikt nicht einen einmaligen Wechsel, eine einmalige Umkehr im Leben, sondern eine Lebensform, die (äußerlich) Ausharren in der monastischen Observanz und (innerlich) Streben nach Vollendung in der Gottesliebe beinhaltet. Deswegen sagte auch Papst Gregor d. Gr.: „Das ganze christliche Leben ist eine Bekehrung…. Gott beginnt und vollendet das Werk, der Mensch bedarf daher der conversationis gratia (der Gnade der Umkehr), um zur Schau Gottes zu gelangen.
Wir alle im Kloster sind Stunde für Stunde aufgerufen, uns immer wieder Gott zuzuwenden, seinen Ruf täglich neu zu hören und ihm zu antworten, konkret im täglichen Leben in Gemeinschaft. Benedikt ermahnt uns schon im Prolog seiner Lebensregel, dass wir uns täglich auf den Weg der Rückkehr, der Umkehr machen sollen: „ut ad eum redeas“. (RB Prol 2) Umkehr bedeutet nach seiner Lehre jenen geistlichen Vorgang in unserem Inneren, durch den das Herz sich von seiner Starre entspannt, sich löst von allem ehrgeizigen Streben und Planen, um sich Gott zu übergeben. Unser ganzes klösterliches Leben steht unter diesem Vorzeichen der Umkehr. Damit wird es in den größeren, umfassenden Rahmen der menschlichen Heils -und Unheilsgeschichte eingefügt und mit dem Evangelium verbunden. So wird deutlich, dass monastisches Leben und unser Gelübde der „conversatio morum“ nicht nur unser individuelles Schicksal betreffen. In uns geschieht immer auch die große Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis in der Welt. Unsere persönliche Gebrochenheit rückt so wieder neu in ein weites Blickfeld. Unser aller Leben ist von Schuld, Versagen und Schwachheit gezeichnet. Wir sind nicht vollkommen, nicht die Perfekten, sondern die ‘Im – perfekten’. Wir alle sind vielfachen Belastungen, inneren Widerständen und Anfechtungen ausgesetzt. Aus Erfahrung können wir bisweilen lernen, wie schwer es ist, sich von diesen Lasten zu lösen. Oft können wir Zustände nur passiv erdulden. So ist die Geduld über weite Strecken die alltägliche Gestalt unserer Umkehr. Mit dem heiligen Ambrosius können wir uns immer täglich neu zusagen: „Patientia perfectio caritatis est“ (Geduld ist die Vollendung der Liebe). Diese Geduld täglich zu üben, ist der erste Schritt zur Umkehr. Geduld mit sich selbst, Geduld mit den Mitmenschen an unserer Seite. Dieser Weg kann bisweilen lang und steil sein. Erst aus der Perspektive des Abstands, oft nach vielen mühsamen Jahren lässt sich der Prozess der Umkehr ein wenig ablesen, dürfen wir kleine Fortschritte erkennen, vielleicht in dem sie uns jemand von außen bestätigt. Wir selbst können nicht sicher beurteilen, ob wir innerlich gewachsen sind. Nur Gott weiß es, und hin und wieder offenbart er es uns durch Menschen.
Der Weg der Umkehr ist normalerweise ein Weg der kleinen Schritte. Radikale Bekehrungen von bleibender Dauer erleben wir im klösterlichen Alltag seltener. Und doch dürfen wir das Ziel nie aus dem Blick verlieren. „Rau und hart ist der Weg, der zum Leben führt, sagt der heilige Benedikt in seiner Regel.
Von daher sieht Benedikt den Umkehrweg im Zusammenhang mit dem Weg der Demut, dem Weg der Wahrheit. Die einzelnen Stufen der Demut führen uns auf schmalem Grat Schritt für Schritt in die Umkehr. Bernhard beschreibt diese Gratwanderung noch intensiviert im Gegenspiegel mit den Sprossen des Hochmuts. Benedikt nennt uns ein Beispiel, wie er sich die Bekehrung des Mönchs denkt. Im Kapitel über die Demut (RB 7,65) spricht er vom Zöllner: publicanus ille evangelicus. Dieser verkörpert für ihn offenbar am reinsten den Geist des Evangeliums. Dabei dürfen wir allerdings nicht vergessen, dass der Zöllner eine Kontrastfigur ist. Pharisäer und Zöllner repräsentieren verschiedene Typen geistlichen Bemühens. Der Pharisäer vertritt das Ideal menschlicher Vollkommenheit, die sich als beständigen Fortschritt versteht. Geistlicher Aufstieg ist für ihn Ergebnis menschlicher Anstrengung. Der Zöllner dagegen versinnbildlicht den christlichen Weg der Umkehr. Der Mensch kann ihn nicht von sich aus beschreiten, sondern er ist Frucht freier Berufung und Wunder der Gnade. Allein Gottes Barmherzigkeit führt ihn zu Umkehr. Gott wartet täglich mit großer Geduld auf unsere Umkehr. Die Antwort derer, die in den Spuren des Zöllners wandeln, besteht in der Demut mit all ihren Spielarten und Stufen. Schon am Anfang des monastischen Lebens bildet gerade sie den Prüfstein des Berufes für die Neukommenden. Jeder Novize muss, so betont es der hl. Benedikt, seinen Eifer für die obpropria, die Verdemütigungen, erweisen. Diese müssen nicht erst künstlich gesucht oder aufgegeben werden, nein, das Lebens selbst geht uns oft genug „gegen den Strich“ (RB 58,7 ) Die Demut ist der Weg, auf dem sich die Umkehr entfaltet. Was sind dann konkrete Schritte zur Umkehr?
1. Ein erster Schritt ist, dass wir versuchen, in unserem eigenen Leben Gottes Liebe zu entdecken. Wie schwer ist das oft, weil unsere Augen gehalten sind wie die der Emmausjünger. Die Liebe Gottes entdecken wir aber nur, wenn wir uns die Augen öffnen lassen und wie der blinde Bettler Bartimäus bitten: Herr, gib, dass ich sehend werde.“ Wir müssen bereit sein zum Umdenken, auch und gerade im Glauben. Im 1. Johannesbrief wird uns gesagt, wie wir umdenken müssen: „Wir haben der Liebe geglaubt.“ Umkehr beginnt damit, dass ich mich bewusst entscheide, dieser Liebe zu glauben, und zwar auch dann, wenn wir durch Dunkelheiten gehen und von Gottes Liebe nichts spüren. Gottes Liebe entdecken heißt dann: sich von ihm lieben lassen. Gott liebt mich so, wie ich bin, ohne Vorbedingungen und Vorleistungen. Wenn wir das annehmen lernen, dann löst das etwas in uns aus. In diesem Licht der Liebe Gottes geht uns auf, dass wir nicht so bleiben können, wie wir sind und auch nicht so bleiben müssen, aber dass Gott uns verwandeln wird, wenn wir es wollen, wenn wir ihn um seinen Beistand bitten und uns von ihm verwandeln lassen.
2. Damit folgt ein zweiter Schritt. Wir müssen in uns den Wunsch nach Veränderung lebendig halten. Und das heißt: Änderung ohne Grenzen, bis in unseren Personkern hinein. Wir sollen nicht nur hier und da an uns „herumbasteln“, sondern uns wirklich und radikal von Gottes Liebe in Frage stellen lassen. Das beinhaltet, dass ich alle egoistische Selbstbehauptung aufgeben muss.
3. Der dritte Schritt zur Umkehr ist der Schritt zum Kleinsein, zum Kindsein. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Reich Gottes gelangen.“ Damit ist in keiner Weise „Verkindschung“ gemeint. Kindsein ist etwas ganz Großes. In meinen Noviziatsjahren war mir einmal ein Buch von Heinrich Spaemann sehr wichtig auf dem Weg der Umkehr: „Orientierung am Kind“. Dort beschreibt der Autor in vielen Schattierungen das Wesen des Kindseins, sicherlich etwas idealisiert – Eltern, Lehrer und Erzieher wissen selbstverständlich, dass Kindern keineswegs nur ‘Engel’ sind – und führt den Leser zur Selbsterziehung, letztlich zur Umkehr des Herzens. Und nicht umsonst sagt uns Bernhard einmal in einer Predigt über das Hohelied der Liebe: „Christus war gesandt, um Engel und Menschen zu erlösen. So ist er also alles, was er den Engeln war, auch uns geworden: Was: Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Weisheit in der Verkündigung, Gerechtigkeit in der Lossprechung der Sünden, Heiligung in der Umkehr.“ Demnach ist der umkehrende Mensch offen für das Leben, ist erfüllt von zukunftsträchtiger Hoffnung
4. Ein letzter Schritt der Umkehr ist, die Liebe tun, uns bereiten für Versöhnung. Nichtstun ist die Verweigerung der Umkehr. Im Tun verleiblicht sich die Umkehr, erwächst neue Hoffnung, neues Leben. Für jeden wird dieses konkrete Tun an anderer Stelle fällig sein. Das geistliche Leben bietet uns reichlich Gelegenheit dazu.
Zusammenfassend können wir auch aus der Regel Benedikts und aus dessen Vita folgende Etappen der conversatio erkennen: Bemühen um Selbsterkenntnis, um Gebet, um geistliche Lesung, um gute Werke und schließlich auch Bemühen um körperlich-asketische Übungen in Wachen, Fasten und Abstinenz.
In seiner 4. Predigt zum Hochfest Christi Himmelfahrt gibt der heilige Bernhard ein Zeugnis davon, wie er ganz persönlich sein Leben als Umkehrweg noch darüberhinaus verstanden hat: „Ganz besonders sollst du darauf bedacht sein, nicht nur durch den Gedanken an die himmlische Herrlichkeit emporzusteigen, sondern auch durch einen Lebenswandel (conversatione), der die himmlische Heimat verdient. An anderer Stelle schrieb er: „Ich hörte von einer Verstorbenen, die ein Leben lang mehr oder weniger melancholisch war, die das aber auf ihrem Sterbebett verlor und mit klarem, freiem, erlösten Blick aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit hinüberging. Ist das nicht ein Hinweis auf unsere ewige Bestimmung, so dass wir vom Todestag als von unserem wahren Geburtstag sprechen können?“
Der Weg der Umkehr ist also immer auch schon der Weg in das aufstrahlende Licht des Ostermorgens. So jedenfalls hat es Bernhard gesehen. Nicht umsonst starb dieser wohl noch in der Oktav des Hochfestes der Aufnahme Mariens in den Himmel.
Sr. Christiane Rath OSB
Jean Leclercq, Bernhard von Clairvaux, S. 25
vgl. Abt Pius Engelbert in: Theologische Realenzyklopädie
Bd. 5, S. 457 f
Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke Bd. V. /S. 314/ Z. 4
vgl. Abt Pius Engelbert in: Theologische Realenzyklopädie
Bd. 5, S. 457 f
Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke Bd. VIII. /S. 362/ Z. 18