Diakoninnenweihe – die Konzilsaktivitäten unserer verstorbenen Sr. Marianna Schrader OSB

In dem 2018 erschienenen, ebenso umfangreichen wie spannenden Band „Katholikinnen und das Zweite Vatikanische Konzil“, herausgegeben von Regina Heyder und Gisela Muschiol (Aschendorff Verlag, Münster 2018) sind u.a. auch die umfangreichen Aktivitäten unserer verstorbenen Hildegardforscherin, Sr. Marianna Schrader, zum Thema Diakoninnenweihe dokumentiert. Wie weit unsere Sr. Marianna und viele andere Frauen des Konzils ihrer Zeit voraus waren, und wie wenige Fortschritte seither in dieser für die Frauen in der Kirche so wichtigen Frage erzielt wurden, veranlasst uns dazu, die untenstehenden Dokumente hier allen interessierten und engagierten Leserinnen und Lesern zugänglich zu machen. Wir danken den Herausgeberinnen und dem Verlag Aschendorff für die freundliche Abdruckgenehmigung.

Ihre Schwestern von St. Hildegard

 

 

 

Die Konzilsaktivitäten Marianna Schraders OSB (1961–1969)

„Das Konzil mit all seinen Ereignissen hat meine Seele in Brand gesteckt und sie zu einer neuen Gesamtsicht geführt“[1] – diesen Satz stellt Sr. Marianna Schrader OSB (1882–1970), Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Eibingen, über ein ihrer Äbtissin vorgelegtes Exposé. Die Hildegardforscherin hat von 1961 an, fast schon achtzigjährig, ihre Reformvorschläge verschiedenen Konzilsvätern vorgetragen und stand darüber im Austausch mit zahlreichen katholischen Akademikerinnen und Akademikern. Anhand der bis zu ihrem letzten Lebensjahr geführten Korrespondenzen lassen sich nicht nur die überragende Bedeutung des Konzils für eine Ordensfrau in einem kontemplativen Orden und das Interesse der gesamten Klostergemeinschaft an diesem Ereignis nachvollziehen, sondern ebenso die Dynamik, die das Konzil ausgelöst hat. Dies gilt zunächst für Marianna Schrader persönlich: waren es zunächst Jungfrauen- und Diakoninnenweihe[2], mit denen sie sich befasste, so weiteten sich allmählich der Kreis ihrer Korrespondenzpartner und der von ihr vorgeschlagenen Reformen. In „heiliger Freiheit“[3] nannte sie später Anliegen, die die Lebensform der Benediktinerinnen selbst berührten: moderatere Klausurvorschriften und die Abschaffung des Gitters, das in vielen kontemplativen Klöstern den Kirchenraum der Nonnen vom Mittelschiff der Kirche trennt(e) und im Sprechzimmer üblich war. Horizont ihrer Überlegungen war „die Frage, ob wir Benediktinerinnen der Beuroner Kongregation bei diesem Aufbruch mitgehen, ob wir das Überlebte des Mittelalters abstreifen, aber ohne von der Verwirklichung des monastischen Ideals abzuweichen.“[4]

Marianna Schraders Korrespondenz erlaubt darüber hinaus einen Blick aus der Schlüssellochperspektive auf die Konzilsdynamik im Eibinger Konvent, der nicht nur mit „ständigen Gebeten“ das Geschehen in Rom begleitete, sondern auch mit „lebhaftem Interesse“[5] die Konzilsereignisse mittels verschiedenster Medien verfolgte. Agierte Marianna Schrader zunächst ausdrücklich „aus eigener Initiative, nicht im Auftrag unserer hochwürdigen Mutter Äbtissin, aber mit ihrer Erlaubnis“[6] – Randnotizen von Mutter Fortunata Fischer zu einem Manuskript Marianna Schraders ist zu entnehmen, dass die Äbtissin die Aktivitäten ihres Konventsmitglieds zunächst skeptisch bis kritisch verfolgt hat – so erschloss sich Äbtissin und Klostergemeinschaft zunehmend die Plausibilität solcher Petitionen. 1963 trugen Äbtissin und Seniorat in einer Konzilseingabe den letztlich schon seit Kriegsende existenten Wunsch vor, die Trennung von Chorfrauen und Laienschwestern in kontemplativen Frauenklöstern aufzuheben;[7] 1965 verfasste man ein Memorandum zur Jungfrauenweihe.[8]

Aus der Retrospektive ist Marianna Schrader als prophetisch zu bezeichnen – bis auf die Diakoninnenweihe sind heute alle ihre Reformanliegen Wirklichkeit geworden. 2012 schließlich erfüllte sich ein letzter, bereits 1967 unter Berufung auf Weihbischof Kampe vorgetragener Wunsch Marianna Schraders: die Erhebung Hildegards von Bingen zur Kirchenlehrerin.[9]

 

[1] AAStH Eibingen, Nachlass Schrader, undatierte Schreibmaschinendurchschrift (2 Seiten) mit handschriftlichen Anmerkungen von Äbtissin Fortunata Fischer. Thematik ist das Verständnis des Konvents als „Kirche“. Die Durchschrift ist so schlecht lesbar, dass der Text leider nicht vollständig ediert werden kann. Wir danken M. Clementia Killewald OSB †, Sr. Matthia Eiden OSB † und Sr. Philippa Rath OSB für die gute Zusammenarbeit und die Erlaubnis zum Abdruck der Dokumente.

[2] Zur Terminologie: Marianna Schrader spricht zunächst bevorzugt von „Diakonissin“, später verwendet sie den Begriff „Diakonin“. In der Einführung wird einheitlich der Begriff „Diakonin“ verwendet.

[3] Diese Formulierung in einer Vorlage für das Exposé „Das Konzil verfolgt u. a. zwei Ziele“ (vgl. Dok. 76).

[4] Dok. 75.

[5] Vgl. z. B. Dok. 74, 78 und 80.

[6] Dok. 74.

[7] Vgl. Dok. 96.

[8] Vgl. dazu Heyder, Antizipation und Partizipation (in Vorbereitung).

[9] Vgl. Dok. 91.

 

Reformanliegen Diakonninnenweihe

Marianna Schrader verstand die Diakoninnenweihe als Weihe für Frauen, die in ihrem kirchlichen Dienst dem Bischof zugeordnet sein sollen und nicht einer klösterlichen Gemeinschaft im engeren Sinne angehören (müssen): „Die Wiedereinführung der Diakonissinnenweihe würde den berechtigten Wunsch der Frau nach einer ihrem Wesen entsprechenden Stellung in der Kirche erfüllen.“ Auch für das Institut der Diakoninnen rekurrierte Marianna Schrader auf historische Vorbilder, insbesondere die „Didascalia et Constitutiones Apostolorum“. In Schraders Argumentationen sind mehrere bemerkenswerte Züge feststellbar: ihre Kirchlichkeit, erkennbar an verschiedenen aus der Korrespondenz mit Experten entstehenden Modifikationen; ihr Pragmatismus, mit dem sie zuletzt „wenigstens einstweilen“ die Thematik der Weihe zurücksetzte, solange Frauen „alle Dienste des männlichen Diakonats, … ausgenommen die Assistenz beim heiligen Opfer am Altar“ übertragen werden; ihre umfassende theologische und historische Bildung, mit der sie sich genau auf jene Texte bezog, die bis heute die Diskussion bestimmen.

Marianna Schrader hat ihre Bemühungen um die Einführung der Diakoninnenweihe im letzten Konzilsjahr – nach Verabschiedung der Kirchenkonstitution Lumen gentium, die in Nr. 29 die Wiederherstellung des ständigen Diakonats ermöglicht hat – nochmals intensiviert. Dazu gehörte auch, dass sie weitere Verbündete suchte und fand: Die Zusammenarbeit mit Gertrud Ehrle in der Diakonatsfrage ist charakteristisch für die neuen Allianzen zwischen Ordensfrauen und Laienkatholikinnen nach dem Konzil. Dass Marianna Schraders Forderung durchaus plausibel war, zeigen die undogmatischen Reaktionen der Weihbischöfe Frotz und Kampe und nicht zuletzt das von der Würzburger Synode (1971–1975) verabschiedete Votum: „Die Synode bittet den Papst, … die Frage des Diakonats der Frau entsprechend den heutigen theologischen Erkenntnissen zu prüfen und angesichts der gegenwärtigen pastoralen Situation womöglich Frauen zur Diakonatsweihe zuzulassen.“

Von Dr. Regina Heyder

 

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