„Novi diluculo multa est fides tua – Jeden Morgen neu, Herr, ist deine Treue“
Betrachtungen zum Karsamstag
„Novi diluculo multa est fides tua – jeden Morgen neu, Herr, ist deine Treue“. Wohl kaum ein Wort aus dem Stundengebet ist so charakteristisch für den Karsamstag wie dieser Vers aus den Klageliedern des Propheten Jeremia. Novi diluculo – das ist Hoffnung wider alle Hoffnung, verhalten aufschimmerndes Licht am Ende eines langen Tunnels. Der Karsamstag ist ein geheimnisvoller, scheinbar schwebender Tag, ein Tag des Übergangs, des „Zwischen“, ein Brückentag zwischen Tod und Leben, zwischen abgrundtiefer Dunkelheit und langsam aufstrahlendem neuen Licht.
Vor allem anderen aber ist der Karsamstag der Tag der totalen Gottesfinsternis, des „Todes“ Gottes. Es ist der Tag der Grabesruhe, des Schweigens, der Leere und des Nichts. Die Jünger haben alle ihre Hoffnungen mit Jesus begraben. Sie sind enttäuscht und verzweifelt. Nichts ist ihnen geblieben außer ihren Erinnerungen. Ihre Träume und Hoffnungen sind zerbrochen. Was ihnen Halt gab, ist nicht mehr. War es überhaupt Wirklichkeit oder war es nur ein Wunschtraum? Sie zweifeln, sie klagen und sie weinen. Sie ziehen sich resigniert zurück und wenden sich irgendwann wieder ihren Alltagsgeschäften zu.
Die Aufnahme ist aus der von unserer Schola im Jahr 2010 aufgenommenen CD entnommen: Novi Diluculo, sie ist in unserem Klosterladen und im Online-Shop erwerbbar. Link
Man könnte sich fragen: musste nicht Gott oder vielmehr das Bild, das die Menschen sich von ihm gemacht und in das hinein sie Jesus gezwängt und gepresst hatten, sterben, damit neues Leben werden und wachsen konnte? Manchmal braucht es Scherben und Trümmer, um durch zerstörte Häuser und Ruinen hindurch wieder neu den Blick auf den Himmel frei zu machen. Manchmal braucht es auch absolute Leere und Stille, um Gottes Wort hören zu können. Denn Gott ist einerseits Wort und Jesus menschgewordenes Wort, aber er ist eben auch Schweigen. Wir können ihn nicht greifen, nicht begreifen, nicht festmachen und festhalten. Er bleibt der Verborgene, der sich Entziehende, der, dessen Reden und Handeln wir oft nur im Schweigen vernehmen können. Manchmal müssen wir lange in die Stille hineinhorchen, um zu hören, was Gott uns sagen will.
Vielleicht ist das Schweigen des Karsamstags so etwas wie die Erwartungshaltung der ganzen Erde. Es erinnert an das Schweigen vor der Erschaffung der Welt (Gen 1,2) und an die Stille der Heiligen Nacht, in der Gottes Sohn Mensch wurde. Alles wartet, dass Gott machtvoll handelt. Wir alle warten – scheinbar vergeblich. So ist es auch am Karsamstag. Vergessen wir aber den Todesruf Jesu am Kreuz nicht:„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mk 15,34) Aus abgrundtiefer Not und Verlassenheit heraus hat dieser Schrei die Welt erschüttert. Und er hallt nach in unseren Herzen, bis heute. Auch Jesus, der Herr, fühlte sich von Gott verlassen genau in der Stunde, in der er ihn am meisten gebraucht hätte. Trotzdem aber ruft er in seiner Angst und Einsamkeit zu IHM, seinem Vater. Wider alle Hoffnung hält er am Glauben fest, selbst dann noch, als dieser sinnlos geworden zu sein scheint. Gottverlassenheit und Gottesnähe zugleich – scheinbar absurd und doch auch unserer alltäglichen Erfahrung so ganz nah.
Vielleicht ist der Karsamstag gerade für uns heute ein ganz besonderer und wichtiger Tag. Viele Jahrhunderte führte er ein bloßes Schattendasein zwischen Karfreitag und Ostern. Wie anders heute. Da gewinnt er auf einmal radikal an Bedeutung. Denn er charakterisiert in ganz besonderer Weise das Lebensgefühl unserer Zeit. Friedrich Nietzsche hat es vor 100 Jahren in fast prophetischer Weise vorausgesagt: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“ Heute ist dies nun scheinbar endgültig Wirklichkeit geworden. Gott ist tot – er ist gestorben in den Herzen unzähliger Menschen, er ist verborgen im unbegreiflichen Mysterium des Leidens und des Todes. Gott ist für uns nicht nur der immer Unbegreifliche, sondern auch der gänzlich Abwesende – in der Welt und allzu oft auch in der Kirche. Dieser Deus absconditus (der verborgene Gott) aber ist es eben auch, den wir Menschen des 21. Jahrhunderts brauchen, um wie Papst Benedikt XVI. es einmal formulierte, „den Abgrund seiner Größe zu erfahren, den Abgrund unserer Nichtigkeit, der sich auftun würde, wenn er nicht wäre“.
„Abgestiegen zu der Hölle“, heißt es im Glaubensbekenntnis der Kirche, wenn es darum geht, das Geheimnis des Karsamstags zu umschreiben. Ein drastisches Bild – die Hölle als Ort der totalen Gottverlassenheit, der radikalen Einsamkeit. Wo bleibt da die Hoffnung, die – wie das Sprichwort sagt – immer zuletzt stirbt? Wohl am ehesten dort, wo Jesus diesen Weg in die dunkle Nacht des Todes mit uns gegangen ist. Gerade in dieser letzten Konsequenz zeigt er sich solidarisch mit uns, ganz radikal. Damit wird die Dunkelheit zum leuchtenden Zeichen der Hoffnung. Erst durch das Scheitern, durch die Verzweiflung und durch den Tod hindurch erahnen wir, wer Jesus wirklich war, und was es mit diesem Gott wirklich auf sich hat. Gertrud von le Fort hat das einst so ausgedrückt:
„Auch die Nacht hat ihre Wunder. Es gibt Sterne, die nur am Horizont der Wüste erscheinen. Es gibt Erfahrungen der göttlichen Liebe, die nur in der äußersten Verlassenheit, ja, am Rande der Verzweiflung geschenkt werden. Und eben das ist jene äußerste Liebe, die sogar in ihren eigenen Entzug einwilligt, darin aber zugleich die größte Annäherung an Gott erreicht.“
Was bleibt also vom Karsamstag für unser eigenes Leben? Wenn wir diesen Tag wirklich ernstnehmen, dann ist nur die gewollte Selbstverschließung jetzt noch Hölle. Zwar können wir der Nacht des Todes und den vielen kleinen Toden mitten im Leben nicht entfliehen. Aber Jesus geht jeden Weg mit uns – er ist ihn schon für uns vorausgegangen. Der Tod, Resignation, Ohnmacht und Verzweiflung haben also nicht das letzte Wort. Die Pforten der Hölle können sich öffnen und die Tore des Herzens werden wieder weit. Wenn etwas in unserem Leben zerbricht, wenn wir etwas verlieren, was unserem Leben einen Sinn gab, wenn das Alte nicht mehr ist und das Neue noch nicht da, dann wird Gott uns tragen, auch wenn wir seine Stimme nicht sofort hören können und seine bergende Hand nicht spüren. Und glaubend dürfen wir dann erfahren, dass sein Abstieg in die Ohnmacht unseres Menschseins alle Karsamstags-Stunden unseres Lebens geheiligt hat.
„Jeden Morgen neu, Herr, ist deine Treue – Novi diluculo, multa est fides tua.
Sr. Philippa Rath OSB