“Scivias”-Kodex: Tafel 33: Der Tag der großen Offenbarung

In dieser Miniatur offenbart Gott der Seherin das Ende der Welt, an dem der Menschensohn zum Jüngsten Gericht wiederkehren wird. Das Ende der Welt entspricht dem Tod des Menschen. „Denn da der Weltenlauf bereits vollendet ist, kann er nicht länger bestehen, sondern wird nach göttlichem Ratschluss zerstört. Wie nämlich ein Mensch, der seinem Ende entgegensieht, von vielen Krankheiten heimgesucht wird, so dass er sich in seiner Todesstunde unter großem Schmerz vollends auflöst, so werden auch dem Ende der Welt große Widerwärtigkeiten vorangehen und sie an ihrem Ende unter verschiedenen Schrecknissen auflösen.“ Diese Vision kann wie die übrigen Visionen des dritten Buches im Sinn der Heilsgeschichte, als auch im Sinne des Lebensweges des Einzelnen von der Geburt bis zum Tod gelesen werden.


An jenem jüngsten Tag wird der ganze Erdkreis von Schrecknissen erschüttert und vom Unwetter zerrüttet, so dass alles, was auf ihm hinfällig ist, sein Ende findet. Feuer und Wasser brechen hervor und bringen die Erde in Aufruhr. Blitze, Donnerschläge, Berge und Wälder fallen, alles Sterbliche haucht sein Leben aus. Dieses Chaos zeigt der untere Bildabschnitt der Miniatur in einem Kreis. Alle Elemente werden dabei gereinigt. Über allem lässt der Posaunenengel seinen Ruf erschallen: „Ihr Menschenkinder, die ihr in der Erde ruht, erhebt euch alle!“ Augenblicklich wird sich alles menschliche Gebein an jedem Ort der Erde sammeln und sich mit seinem Fleisch bedecken. Wie das Wasser das Salz wieder ausschwitzt, so gibt die Erde alle Kreatur her. Die Menschen erscheinen je nach ihrem Geschlecht in völliger Unversehrtheit. Die Guten leuchten in Herrlichkeit, die Bösen erscheinen schwarz mit verhülltem Gesicht. Das Werk eines jeden Menschen ist sichtbar. Es wird sichtbar, in welchem Maß der Mensch Gott in der Kindheit, in der Jugend, im Alter oder am Lebensende gesucht hat.
Über allen flammt wie ein mächtiger Blitz der Menschensohn auf. Auf einer Wolke mit demselben Antlitz, das er auf Erden trug und mit offenen Wunden, thront der Menschensohn wie auf einer Flamme in einem roten Rad. Chöre der Engel sind um Ihn mit den Zeichen seines Leidens (mit Kreuz, Lanze, Nagel). Die Scheidung vollzieht sich nach dem gewaltigen Sturm zur Reinigung der Welt.
Die im Glauben Besiegelten werden mit dem Sohn Gottes als ihrem Haupt durch einen Wirbelwind dem Richter entgegengeführt, ihnen wird himmlische Freude gewährt. Die im Unglauben Verhärteten sind in der Region der Verdammung mit dem gefesselten Teufel. So nimmt der Himmel die Auserwählten in die Herrlichkeit der Ewigkeit auf, weil sie den Beherrscher der Himmel geliebt haben. Die Hölle verschlingt die Verworfenen, weil sie den Teufel nicht fahren ließen.

Sr. Hiltrud Gutjahr OSB