“Scivias”-Kodex: Tafel 35: Die Chöre der Seligen
Viele verschiedene Wohnstätten unfassbarer Freuden gibt es im Himmel. Dies zeigen die
verschiedenen Kreise oder Medaillons mit den lobsingenden Heiligen in der Vollendung. „Dem himmlischen Schöpfer muss man unaufhörlich mit der Stimme des Herzens und des Mundes Lobgesänge darbringen. Er weist den Stehenden und Aufrechten, den Fallenden und Gebeugten durch seine Gnade Plätze im Himmel zu.“
Diese Miniatur führt den Lobpreis der Heiligen auf Gott fort unter dem Vorsitz Mariens. Sie thront als „erster Klangkörper“ über den Chören der Engel, die über den Aposteln, Patriarchen und Propheten, die Jungfrauen, Bekenner und Märtyrer stehen. Die verschiedenen Heiligen sind mit den entsprechenden Attributen zu erkennen, so Johannes der Täufer mit dem Lamm, Petrus mit dem Schlüssel, die Jungfrauen mit den Palmzweigen. Wie eine Menge Stimmen in harmonischem Lobgesang ertönt ich Lied in vollendeter Einmütigkeit. Die himmlische Harmonie verkündet die Gottheit, und das Wort macht die Menschheit des Gottessohnes offenbar. Die leeren Schriftbänder oder Kreissegmente zwischen den Medaillons mit den Heiligen könnten die Harmonie der den Text bestimmenden Sphärenmusik versinnbildlichen. Aus der lichtdurchstrahlten Luft tönen Lobgesänge von denen, die in den Himmelsfreuden wohnen und Klagelieder über die, die noch in der Sünde, aber zu den gleichen Lob- und Freudengesängen zurückgerufen sind. Von den Wechselchören der Gotteskräfte, die einander auffordern, den Bedrängten zu helfen, dass sie durch Buße von ihren Sünden zur Himmelwohnung übergehen, ist bildlich nichts dargestellt.
Aus dem Lobpreis Gottes ergibt sich das Loblied auf die Engel, Propheten und Heiligen, in denen Gott seine Werke vollbringt. Im Lobgesang ist die Beziehung zwischen Gott und seinen Geschöpfen in die rechte Ordnung gebracht. Wer immer Gott im Glauben erkennt, soll Ihm lobsingen, unablässig, Ihm jubeln in Hingabe wie David, der sprach: „Lobt ihn im Schall der Posaune, mit Harfe und Zither, mit Pauke und Reigen, mit Saitenspiel: Alles, was Atem hat, lobe den Herrn.“ (Psalm 150 )
„Lobt Gott, ihr seligen Herzen in all seinen Wundern, die Gott in der weiblichen Gestalt, in Maria, gewirkt hat.“ Maria als die Jungfräuliche und „leuchtende Materie“ verkörpert die Vollendung in der erlösten Schöpfung.
Sr. Hiltrud Gutjahr OSB