„Die Diakonissin – ihre Weihe und ihr Dienst“

Vor mehr als 50 Jahren hat sich unsere verstorbene Mitschwester, Sr. Marianna Schrader OSB, eine unserer großen Hildegardforscherinnen, ebenso engagiert wie fundiert mit dem Thema Diakoninnenweihe (sie benutzte noch den damals üblichen Begriff „Diakonissen“) auseinandergesetzt und auf vielfache Weise versucht, das Thema „Frauen in der Kirche“ in die Konzilsberatungen einzubringen.

Sr. Marianna Schrader und viele andere Frauen waren damit ihrer Zeit weit voraus, denn bis heute gibt es keine substantiellen Fortschritte auf diesem Weg. Um zu zeigen, wie aktuell dieses Anliegen auch heute ist, dokumentieren wir einen Artikel, der von ihr in der Zeitschrift „Die Christliche Frau“ (3/1966, S. 76-79) erschienen ist.

 

Von Sr. Marianna Sehrader OSB Eibingen

„Weil das II. Vatikanische Konzil bewußt den Geist der Frühkirche aufgegriffen hat und er auch unser modernes Leben durchdringen soll, sei im folgenden auf eine Institution der Frühkirche hingewiesen, das Amt der Diakonissin. Es war gänzlich dem Bewußtsein der heutigen Kirche entschwunden. In den Konzilsverhandlungen wurden nach heftigen Diskussionen die Diakone für den Dienst in der Kirche wieder angenommen. Der Diakonissin aber geschah keine Erwähnung. Doch haben manche Konzilsväter andere Möglichkeiten gefunden, sich für sie einzusetzen. Die Wiedereinführung der Weiblichen Diakonie würde neue Möglichkeiten für „die Frau in der Kirche“ schaffen. Darum seien im folgenden kurz einige Erwägungenüber „die Diakonissin in der Frühkirche“ und „die Diakonissin heute“ vorgelegt.

Die Diakonissin in der Frühkirche

a. Historische Quellen:

Das Amt der Diakonissin wird auf den hl. Paulus zurückgeführt (Röm 16 und 1 Tim 3,10). Schon im außerkirchlichen Bereich des 1. Jhs spricht ein Brief Plinius des Jüngeren (Ep. 10,96) an Kaiser Trajan von christlichen Frauen, die den Titel ministrae, d. h. auf griechisch diakonissae tragen. In der Frühkirche werden sie u. a. diaconissae canonicae genannt, weil sie nach den canones, dem Ordo, den Anweisungen der altkirchlichen Synoden und der Väter, leben. Mehrere Synoden, die Didaskalia, die Constitutiones Apostolorum, Konzilien, u.a. Nicäa und Chalcedon, eine Anzahl von Kirchenlehrern und Kirchenvätern nennen die Diakonissin, Sie ist zuerst in der Ostkirche nachweisbar. Von der Ostkirche übernahm die römische Kirche frühzeitig das Amt der Diakonissin. Es wird in Italien, Gallien und am Rhein bis ins 11. Jahrhundert erwähnt.

b. Die Weihe der Diakonissin:

Der Diakonissin schenkte die Frühkirche ihre besondere Liebe und Hochschätzung, indem sie ihr eine eigene Weihe zuteil werden ließ. Diese Tatsache ist aus vielen Zeugnissen ersichtlich wie aus den in griechischer Sprache verfaßten Constitutiones Apostolorum des 4. Jhs (Kap VIII 19,20). Sie geben den vollen Wortlaut des sehr einfachen Ritus wieder. Nach der Weihe der Presbyter und der Diakone folgt, ebenfalls durch den Bischof, die Weihe der Diakonissinnen. Es schließt sich die Weihe der Subdiakone an.

Aus dem Wortlaut der Diakonissinnenweihe: „Betreffs der Diakonissinnen ordnet Bartholomeus [Apostel] an: Episkopus, breite die Hände über sie aus, umgeben von dem Presbyteriat mit den Diakonen und Diakonissinnen und spreche: Gott, Ewiger, Vater unseres Herrn Jesus Christus, Schöpfer des Mannes und der Frau … Gib ihr den Heiligen Geist und reinige sie von aller Unreinheit des Fleisches und des Geistes, damit sie das ihr übertragene Werk würdig vollbringe zu Deiner Ehre und zum Lobe Deines Christus, mit dem Dir Ruhm und Anbetung sei und mit dem Heiligen Geiste in Ewigkeit. Amen!“

Es ist Tatsache, daß die Riten der Weihe von Diakon und Diakonissin übereinstimmen: Der Spender der Weihe ist der Bischof, der die Hände über die zu Weihenden ausbreitet. Ihm zur Seite stehen die bereits Geweihten. Es folgt das Weihegebet, in dem der Heilige Geist eigens herabgerufen wird. –

Die Ostkirche besteht aus mehreren autokephalen Kirchen mit eigenen Riten. Es konnte noch nicht festgestellt werden, wieviele Teilkirchen die Diakonissinnenweihe übernommen hatten. In der lateinischen Kirche bezeugen die Ordines Romani die Weihe der Diakonissin. Auch hier ist diese dem Bischof vorbehalten. Mabillon berichtet (lter Ital. II S:91) u. a., daß nach dem Ordo Romanus IX die Weihe der diaconissae et presbyterissae auf ähnliche Weise vorgenommen wurde wie die Priester- und Diakonenweihe. Bedeutsam ist, daß im Anfang des 3. Jhs. die Didaskalia (II 26,6) die Diakonisse als Symbol des Heiligen Geistes bezeichnet, und vom Diakon sagt, er stelle Christus dar.

c. Ihr Dienst:

Der Diakonissin waren mehrere Aufgaben übertragen. Es oblag ihr, beim Gottesdienst die notwendige Ordnung unter den Frauen und Kindern aufrechtzuerhalten. Bei der Taufe der Frauen war ihre Hilfe unentbehrlich. Sie durfte Frauen und Kindern die hl. Kommunion reichen und sie kranken Frauen in ihre Häuser bringen. Die Beaufsichtigung der virgines canonicae war ihr anvertraut, weil jene in der Frühkirche noch keine Gemeinschaften bildeten, sondern in ihren Familien lebten. Die Diakonissin hatte in den Gemeinden die Frauen in den christlichen Wahrheiten zu unterrichten, für die Kranken zu sorgen und andere Dienste zu leisten. Die Diakonissinnenweihe verlor allmählich ihre Bedeutung für die Kirche. Im Abendland ging sie nach und nach in die Abtissinnenweihe über.

Die Diakonissin – heute

a. Voraussetzungen:

Für das heilige Amt einer Diakonissin sollten heute folgende Forderungen gelten: Eine eindeutige Berufung von Gott. Von seiten der Kandidatin: echte Religiösität, charakterliche Eignung, Bekenntnis zum Zölibat, Ausbildung in einschlägigen Fachgebieten wie Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Einführung in elementare Kenntnisse der Krankenpflege. Notwendig wären Ausbildung in Latein und eine gründliche theologische Schulung. Zu begrüßen wäre die Weiterbildung begabter Studentinnen an einer theologischen Fakultät. Die Vorbereitung der Weihekandidatinnen läge in der Hand des Ordinarius loci und könnte in einem bischöflichen Seminar erfolgen.

b. Weihe:

Hat die Kandidatin alle Forderungen erfüllt, so wird ihr vom Bischof (nur er hat die Fakultät) die Diakonissinnenweihe erteilt. Die Geweihte steht (wie die Priester und Diakone) unter der Autorität des Diözesanbischofs und ist ihm verantwortlich. Die Diakonissin ist nach der Weihe zur Persolvierung des Breviergebetes verpflichtet.

c. Dienst – diaconia:

Vom Bischof wird die Diakonissin einer Pfarrei zugeteilt, um hier ihren Dienst – ihre Diakonie – auszuüben. Sie ist jedoch nicht die Sekretärin des Pfarrers. In der Gemeinde ist ihr ein weites Betätigungsfeld eingeräumt. Die Familien,- Kranken- und Kinderfürsorge steht ihr offen, Religionsunterricht an den Mädchenschulen mit erzieherischer Betreuung der Schülerinnen. Auch nach der Schulentlassung sollte die weibliche Jugend noch unter der Leitung der Diakonissin verbleiben. – Wie eingangs erwähnt stimmen mehrere Konzilsväter für die Tätigkeit der Frau in der Kirche. Wir möchten uns einigen Vorschlägen anschließen, die Erzbischof P. Hallinan, Atlanta USA, beim Generalsekretariat des Konzils eingereicht hat: „Frauen sollten nach gründlichem Studium und Ausbildung als Diakonissen der Verkündigung des Wortes Gottes dienen und die Sakramente spenden dürfen, die Diakone spenden – besonders die Taufe und die heilige Kommunion. Frauen sollte man ermutigen, Lehrer und theologische Berater zu werden, wenn sie auf diesem Gebiete erfahren sind. Frauen sollten miteinbezogen werden in das, was für die wirksame Durchführung des Laienapostolats nach dem Konzil getan wird . . .“ (Vgl. Deutsche Tagespost Nr. 153, 1965)

d. Der Stand:

Die Diakonissin legt keine Gelübde ab und gehört keinem Orden oder Säkularinstitut an. Ihr Dienst beruht einzig auf der Weihe. Durch diese Weihe aber ist sie in der denkbar innigsten Weise mit der hl. Kirche verbunden. Ihre Weihe gibt ihr vor Gott und der Kirche eine eigene Würde sowohl dem Klerus als auch den Laien gegenüber. In den Städten könnten sich die Diakonissinnen zu einer Gesellschaft. zusammenschließen, die dem Bischof untersteht. Die Diakonissinnenweihe kann den Ordensgemeinschaften und ihren Mitgliedern nicht gewährt werden. Sie ist kein additamentum zur Ordensprofeß, denn sie begründet einen eigenen Stand.

Die Konzilsberatungen haben gezeigt, wie schwer die Zustimmung der Väter zum Amt des Diakons zu erringen war. Für die Diakonisse dürfte sie vielleicht nicht so großen Hindernissen begegnen, da die Voraussetzungen bei der Frau durch das bereits weit verbreitete Amt der Seelsorgehelferin teilweise schon gegeben sind. Auf die Bedeutung der Diakonissin für die priesterarmen Länder – wie die Missionen und Lateinamerika – kann nur hingewiesen werden.

Schluß:

Die Wiedereinführung der Diakonissinnenweihe würde den berechtigten Wunsch der Frau nach einer ihrem Wesen entsprechenden Stellung in der Kirche erfüllen.“

 

Literatur:

Funk, F. K. Didascalia et Constitutiones Apostolorum, Paderborn 1905, verzeichnet Zustimmung und Ablehnung der Ordinatio diaconissarum.

Schäfer, H. Die Kanonissenstifter im Mittelalter. Kap 3,3 die Diakonissenweihe, ihr Ursprung und ihre Bedeutung; in U. Stütz, Kirchenrechtliche Abhandlungen, Heft 43/44, Stuttgart 1907. Der Verfasser reiht die Diakonissinnen in den klerikalen Stand ein.

Diaconia in Christo. Quaestiones disputatae 15/16 hg. v. Karl Rahner und H. Vorgrimler, Freiburg 1962. Lehnt den klerikalen Stand der Diakonissin ab.