Jemand muß zuhause sein, Herr,
wenn du kommst.
Jemand muß dich erwarten
unten am Fluß
vor der Stadt.

Jemand muß dich erwarten
oberhalb Rüdesheims und Eibingens
zwischen den Weinbergen, so könnten wir es umdichten.

Zuhause sein

Die Abtei ist unser Zuhause. Wir sind dort zuhause, weil jede von uns sich von Gott hierhin gerufen weiß, in Gemeinschaft zu beten und zu arbeiten. Aber die Abtei soll nicht nur für uns Schwestern ein Zuhause sein. Deshalb ist es ein Glück für uns, wenn ich Gäste an der Pforte erlebe, die öfter zu einem Gastaufenthalt kommen und sagen: „Jetzt bin ich wieder zu Hause.“ Oder bei der Verabschiedung: „Ich fühlte mich hier wirklich zuhause.“ Es ist schön ein Zuhause zu haben- wie viele Menschen haben es nicht!- und es ist schön zu hören, daß sich Menschen bei uns angenommen fühlen.
Aber noch in einem tieferen Sinn gilt es, zuhause zu sein . Wirklich zuhause sein im Zuhause, in mir selbst zuhause sein, ganz da sein, ganz dasein für jemanden, ganz wach den Augenblick leben, ganz aufmerksam für den Anruf der jeweiligen Stunde. Das ist nicht einfach. Das kostet uns schon etwas, bis sich die Lebensform, in sich zuhause zu sein, gebildet hat .Sie kann sich aber nicht allein durch unsere eigene Anstrengung bilden.
Darum eifern wir dem heiligen Benedikt nach, von dem es heißt in seiner Vita, er wohnte bei sich unter den Augen Gottes. Gott selbst, an dessen Nähe, an dessen Wohnen in unserem Herzen wir glauben, lässt uns, lässt Sie gelassen werden und immer wieder neu den Versuch machen, bei uns selbst zu wohnen. Dabei kann dann auch, von Gott geschenkt, eine Atmosphäre des Zuhause-Seins entstehen.
Vielleicht könnte der Advent für uns alle wieder eine Zeit der Einübung sein in das „bei uns zuhause sein“, in das „Wohnen bei uns“, in Zeiten der Stille, des Gebetes, im Kreis der Familie.

Weiter heißt es im Gebet Silja Walters:

Jemand muß nach dir Ausschau halten
Tag und Nacht.
Wer weiß denn, wann du kommst.

Manchmal mache ich abends nach unserem Chorgebet noch einen kleinen Spaziergang im Klostergarten. Dann sehe ich hinunter nach Eibingen und Rüdesheim, zum Rhein und in die weite Ebene des Rheingaus. Unser Kloster liegt zwar am Rande der Stadt, aber wir wissen, daß die Menschen in den Häusern, auf den Straßen, in den Zügen, die vorbeirauschen, auf den Schiffen, die langsam rheinabwärts oder rheinaufwärts treiben, ab und zu hochschauen zum Kloster am Berg.

Vielleicht hoffen sie, daß wir sie mit in unser Gebet nehmen. Oft denke ich, was bewegt sie, mit welchen Freuden, Ängsten und Nöten leben sie, die Alten und die Jungen, die Familien, die Ehepartner, die Kranken und die Gesunden? Was geschieht in den einzelnen Häusern? Wie geht es den Kranken im Krankenhaus? Herrscht Friede oder Streit, Glück oder Unglück? Beten die Menschen da in ihren Häusern, auf ihren Schiffen, in den Bahnen? Sie sind uns nicht gleichgültig.
Wir teilen mit allen Menschen das Nichtwissen, wann Gott kommt. Keiner weiß den Tag noch die Stunde, nur der Vater im Himmel. Sicher teilen wir auch mit manchen das Ausschauhalten, das Warten darauf, daß Gott unser Gebet erhört. Viele Menschen beten am Tag oder in der Nacht, von denen es niemand ahnt. Sie und wir tun es für andere mit, in Stellvertretung, weil so viele es nicht mehr können oder noch nicht können.

Herr,
jemand muß dich kommen sehen
durch die Gitter
seines Hauses
durch die Gitter.

Durch die Gitter deiner Worte,
deiner Werke
durch die Gitter der Geschichte
durch die Gitter des Geschehens
immer jetzt und heute
in der Welt.

Zuhause sein also, um dich kommen zu sehen

Wir werden einmal Gott sehen , wie er ist. Das hat er uns verheißen. Wir werden einmal den Menschensohn, Jesus Christus kommen sehen. Aber wir werden ihn nicht sehen, wenn wir dieses Sehen nicht gelernt haben, wenn wir es nicht üben, jetzt schon, in unserer Lebenszeit.
Unser christliches und unser klösterliches Leben will eine Schule des Sehens sein.
„Rabbuni, ich möchte wieder sehen!“, bat der Blinde Jesus im Evangelium, und meinte es ganz direkt: Gib mir mein Augenlicht wieder! Wie geht das aber, Ihn kommen sehen? Das Evangelium will uns noch auf ein Sehen ganz anderer Art verweisen: Daß der Rabbuni uns ansieht und wir so auch sehend werden, daß wir nämlich sehen, wie Er, Gott, da ist in jedem Menschen, der uns begegnet. In den Gästen, besonders den Armen wird wirklich Christus aufgenommen, sagt Benedikt, den Kranken sollen wir so dienen wie Christus.
In der Äbtissin begegnet uns Christus in der Gestalt des Hirten, Christus zeigt uns Christen sein Antlitz in allen Menschen.

Wir begegnen ihm täglich im Sakrament der Eucharistie, im Lesen und Meditieren Seines Wortes und in der Schöpfung, die seine Spuren trägt.

Unser Kloster hat viele Gitter. Sie fallen auf, stören manche. Sie sind nicht dazu da, um uns einzusperren. Wir können durch das Tor hinausgehen. Eher bieten sie einen gewissen Schutz, wie auch die Klausur, der abgegrenzte Bereich der Sammlung und Ruhe dienen soll. Aber durch die Gitter hindurch nehmen wir trotzdem Anteil am öffentlichen Leben, indem wir uns informieren und versuchen, die Zeichen der Zeit für unser Leben zu deuten, oder für andere zu bitten, daß sie die Zeichen der Zeit in ihrem Leben verstehen. Damit fließt das Vernommene in unsere gemeinsamen und persönlichen Gebete. Hinter den Gittern der Geschichte und des Geschehens wissen wir den Herrn der Geschichte und glauben an seine täglichen Fügungen, bei allem Unverständlichen, das auch uns „vergittert“ bleibt.

Jemand muß wachen
Unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden,
Herr,
du kommst ja doch wie ein Dieb.

Wie ein Dieb?

Was heißt das? Will er uns etwas stehlen? Oder will er uns etwa selbst? Unser Leben etwa?
Uns selbst, ganz und gar? Er wird uns auf jeden Fall überraschen. Er wird plötzlich kommen.

Und er wünscht nichts sehnlicher, als daß wir ihn erwarten, daß wir mit seinem Kommen in unserem Leben rechnen, die Rechnungen unseres Lebens nicht ohne ihn machen.

Einmal wird er dann auch kommen , um uns ganz zu sich zu holen. Einmal werden wir alle sterben. Auf unseren Friedhöfen hier in Rüdesheim, in Eibingen und im Kloster oben liegen
die Menschen, denen wir im Leben verbunden waren .Viele haben wir Schwestern gekannt, die unten liegen und Sie haben so manche Schwester gekannt, die oben liegt.
Die große Gemeinschaft derer, die uns vorrausgegangen sind, verbindet auch uns in der Glaubensgewissheit, daß wir uns einmal wiedersehen werden.

Wachen ist unser Dienst,
wachen. Auch für die Welt.
Sie ist oft so leichtsinnig,
läuft draußen herum,
und nachts ist sie auch nicht
zuhause.
Denkt sie daran,
daß du kommst?

Daß du ihr Herr bist
Und sicher kommst?

Da ist es schon wieder, das Wachen.

Wir sind gegenseitig auf das Wachen angewiesen. Wer war noch nie in seinem Leben leichtsinnig? Und wer war dann nicht froh, wenn ein anderer gerade wachsamer war als er, vielleicht im Straßenverkehr, im allem Tun oder Lassen. So brauchen Sie unser Wachen und wir ihr Wachen. Gegenseitig müssen und dürfen wir uns daran erinnern, wer unser Herr ist. Gegenseitig dürfen wir uns erinnern, daß Gott unser Vater ist und wir alle zur Gotteskindschaft berufen sind, daß wir alle Gottes Söhne und Töchter sind und darum eigentlich Verwandte, geistliche Brüder und Schwestern. Das sagt uns unser Glaube. Auch zum Glauben fordert uns das Gebet von Silja Walter auf:

Jemand muß es glauben,
zuhause sein um Mitternacht,
um dir das Tor zu öffnen
und dich einzulassen,
wo immer du kommst.

Herr, durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, taten wir sonst?

Wir bleiben, weil wir glauben.
Zu glauben und zu bleiben
Sind wir da, –
draußen
am Rand der Stadt.

Glaube ich das wirklich, daß Gott durch meine Zellentüre in die Welt und durch mein Herz zum Menschen kommt? Ich muß gestehen, dieser Satz hat mir schon oft zu schaffen gemacht und war schon oft aktuell in meinem Leben. Immer dann, wenn mir die Hände gebunden sind und nicht hinreichen zu tatkräftigem Anpacken irgendwo, wo es gerade brennt.
Niemand kann überall sein. Aber eine Nonne ist eben normalerweise wirklich nur in ihrem Kloster und die einzige Möglichkeit, die ihr bleibt, um Verantwortung für die Welt und in der Welt zu übernehmen, ist, sich ganz Gott zu schenken, Ihm zu vertrauen, daß Er alles kann, Ihm ein für sein Wirken durchlässiges Herz zu geben, an dem kleinen Platz im Kloster, wo sie hingestellt worden ist.
Gebet wird dann Arbeit und Arbeit Gebet. Wenn ich dann putze, weiß ich , ich erneuere jetzt das Angesicht der Erde, an diesem kleinen Flecken und da wo Gott es will. Dies gilt es auszuhalten, die Realität der eigenen Ohnmacht und die eigenen Zweifel.

Herr,
und jemand muß dich aushalten,
dich ertragen,
ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinem Kommen
zu zweifeln
Dein Schweigen aushalten
Und trotzdem singen.
Dein Leiden , deinen Tod aushalten
Und daraus leben.
Das muß immer jemand tun
Mit allen andern
Und für sie.

Deine Abwesenheit aushalten
Kennen Sie das? Wir beten und Gott scheint zu schweigen. Er tut nichts, absolut nichts. Wir sehen nichts. Kein Zeichen. Wir verstehen ihn nicht mehr. Selbstverständliches im Glaubensvollzug ist plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Wie kann man leben aus Leiden und Tod des Gottessohnes, wie es im Gebet von Silja Walter heißt?
Wie kann man leben angesichts der Schrecknisse in der Menschengeschichte, der unsäglichen Leiden, der Blutspuren und dem Tod?

Das alles aushalten… und trotzdem singen, das Leben singen und das Singen leben, vielleicht eine lange Zeit. Vielleicht sind wir, Sie in der Stadt und wir im Kloster uns im Erfahren der Nächte des Glaubens am nähesten, wenn wir Gott nicht spüren können, im Teilen der Zweifel, im Ringen um Wahrheit, in der Sehnsucht nach Gott, in der Sehnsucht nach der Sehnsucht nach Gott.

Und jemand muß singen,
Herr,
wenn du kommst,
das ist unser Dienst.

Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust,
die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist
Und wunderbar wie keiner.

Einfach immer weitersingen, jeden Tag siebenmal, das ist unser Dienst. Denn unser Gott ist wirklich wunderbar!
Ganz adventlich schließt das Gebet des Klosters am Rande der Stadt:

Komm, Herr!
Hinter unsern Mauern
Unten am Fluß oben am Berg
Wartet die Stadt
Auf dich.
Amen

Sr. Francesca Redelberger

Gebet des Klosters am Rande der Stadt
von Silja Walter

Jemand muß zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muß dich erwarten
unten am Fluß
vor der Stadt.

Jemand muß nach dir Ausschau
halten
Tag und Nacht.

Wer weiß denn, wann du kommst.

Herr,
jemand muß dich kommen sehen
durch die Gitter
seines Hauses,
durch die Gitter.

Durch die Gitter deiner Worte,
deiner Werke,
durch die Gitter der Geschichte,
durch die Gitter des Geschehens
immer jetzt und heute
in der Welt.

Jemand muß wachen
Unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden,
Herr,
du kommst ja doch in der Nacht
wie ein Dieb.

Wachen ist unser Dienst,
wachen.
Auch für die Welt.
Sie ist oft so leichtsinnig,
läuft draußen herum,
und nachts ist sie auch nicht
zuhause.

Denkt sie daran,
daß du kommst?
Daß du ihr Herr bist
Und sicher kommst?

Jemand muß es glauben.
Zuhause sein um Mitternacht,
um dir das Tor zu öffnen
und dich einzulassen,
wo du immer kommst.

Herr,
durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, taten wir sonst?

Wir bleiben, weil wir glauben.
zu glauben und zu bleiben
sind wir da, –
draußen
am Rand der Stadt.

Herr.
Und jemand muß dich aushalten,
dich ertragen, ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten, ohne an deinem Kommen
Zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod aushalten
und daraus leben.
das muß immer jemand tun
mit allen andern
und für sie.

Und jemand muß singen,
Herr,
wenn du kommst,
das ist unser Dienst.

Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust, die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist
und wunderbar wie keiner.

Komm, Herr!
Hinter unseren Mauern
unten am Fluß
wartet die Stadt
auf dich.
Amen

Sr. Francesca Redelberger