Die Tage vom 17.– 23. Dezember sind durch die sieben O-Antiphonen in der Vesper besonders herausgehoben. In ihnen wird Jesus Christus unter Bildworten und Titeln angerufen, die im Alten Testament dem erwarteten Messias zugesprochen werden. Die O-Antiphonen haben alle denselben Aufbau. Sie beginnen mit dem „O“, dem bewundernden Ausruf des Staunens über Gottes Heilstaten, die sich in besonderer Weise in Christus, unserem Erlöser, offenbart haben. Dann schließt sich ein messianischer Hoheitstitel aus dem Alten Testament an, der jeweils auf Jesus Christus hin gedeutet wird. Auf diese Hoheitstitel folgt eine Aussage über das, was der Herr tut oder wie er seine Herrschaft ausübt. In dem eindringlichen Ruf »Veni« – Komm! – drückt sich die Heilssehnsucht des Gottesvolkes bis heute aus. Es sind wunderbare Bilder, zum Teil Erinnerungen an das Wirken Gottes an seinem Volk Israel. Text und Melodie sind zu einer Einheit verschmolzen. Wer sich von dieser innigen Einheit erfassen lässt, wird etwas erfahren von der Sehnsucht, mit der diese Tage zum Weihnachtsfest hindrängen. Es geht um das Hören, Singen und Beten dessen, was Ziel unserer Sehnsucht ist. Alle sieben Hoheitstitel umkreisen das Mysterium Gottes: O Weisheit, O Adonai, O Wurzel Jesse, O Schlüssel Davids, O Morgenstern, O König der Könige, O Emmanuel! Gott kann man keinen gültigen Namen geben, sondern Gott ist der Name über alle Namen (Phil 2,9). Wir können ihn nicht benennen, uns seiner nicht bemächtigen, son-dern ihn nur mit vielen Bildern umschreiben. Gott lässt sich nicht erkennen, sondern nur erahnen. Er ist das „mysterium tremendum“, das „mysterium fascinosum“ unseres Lebens. Nur manchmal dürfen wir etwas von ihm erahnen. Gott ist nicht Statik, sondern unerhörte Dynamik. Er kommt in vielen Erscheinungsformen auf uns zu. Er ist immer der ganz andere. Wir können uns nur stammelnd und bewundernd diesem Mysterium nähern. Nur in dieser Haltung beginnen wir zu ahnen, was es heißen mag: Gott wird Mensch – et incarnatus est. Dieser Gott will mich, dieser Gott liebt mich – welch unbegreifliche Wahrheit.

17. Dezember: O Sapientia , o Weisheit, hervorgegangen aus dem Mund des Höchsten – die Welt umspannst du von einem Ende zum andern, in Kraft und Milde ordnest du alles: Komm und offenbare uns den Weg der Weisheit und Einsicht.
Die Weisheit wird im Neuen Testament auf Christus übertragen. „Gott hat Christus für uns zur Weisheit gemacht, damit wir in ihm ihre Schätze finden“ (Kol 2,3). Von diesem Christus wird gesagt, er herrsche in Kraft und Milde. Ist das für uns nicht vielfach ein Gegensatz? Da ist einer, der sich durchsetzen kann, und da ist der andere in Milde. Bei Christus fällt beides zusammen. Er herrscht mit zarter Kraft und starker Milde. So ordnet er alles. Alles bekommt bei ihm Maß und Mitte. Maß heißt nicht Mittelmaß, sondern in der Mitte des Wesens ruhen. – „Komm!“, in diese Bitte mündet die Antiphon ein. Komm und offenbare Dich! Eine ganz große Bitte. Wo Gott sich offenbart, erkennen wir, wird uns Einsicht, Wissen des Herzens geschenkt.

18.12.: O Adonai, Herr und Führer des Hauses Israel – im flammenden Dornbusch bist du Mose erschienen und hast ihm auf dem Berg das Gesetz gegeben: komm und befreie uns mit deinem starken Arm.
Adonai – der Gottesname war dem Volk Israel heilig: Gott war der Unaussprechliche. Gott, der ganz andere, zu dem vom Menschen her kein Zugang möglich ist, er hat sich uns offenbart als Herr des gesamten Kosmos, als Herr der Geschichte. Er führt uns durch alle Höhen und Tiefen, durch alle Schmerzen und Verlassenheit. Advent, Weihnachten, das bedeutet, dieser Gott, der die Herrschaft über Zeit und Geschichte hat, wird Mensch. O Adonai, Herr, mein Herr! Wo Gott erscheint, da brennt der Dornbusch, da ist Feuer und Brand. „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; und was will ich anders, als dass es brenne.“ Wo Gott kommt, da kann sich ein Leben mit einem Schlag verändern, da setzt er neue Maßstäbe. Er bietet uns seinen Bund an, sagt Ja zu uns. Und so dürfen wir auch Ja sagen zu ihm. Er ist uns treu, und nie ist es für uns zu spät, in die Bundestreue zurückzukehren. Wenn wir es nicht können, so ist es doch er, der uns mit starkem Arm in die Freiheit der ersten Liebe zurückführt.

19.12.: O Radix Jesse, o Spross aus der Wurzel Jesse, gesetzt zum Zeichen für die Völker – vor dir verstummen die Herrscher der Erde, dich flehen an die Völker: komm und errette uns, erhebe dich, säume nicht Länger.
Christus, der Wurzelstock – die Wurzel ist Symbol des Urgrunds, aus dem alles Sein und Wachsen hervorkommt. Das heißt glauben: verwurzelt sein in Ihm; hier findet der Mensch seine Identität. In Christus, dem Wurzelstock aus dem Urgrund Gottes. Wurzeln schlagen, das ist ein Lebensprogramm. Christus ist uns gesetzt zum Zeichen, er ist das Signal, das uns aufrütteln will aus unserer Schläfrigkeit. Advent fordert Entscheidung, ob wir uns dem Signal stellen wollen. Nicht aus eigener Kraft können wir uns entscheiden; wir müssen Gott bitten, dass er es in uns wirkt. Wir dürfen ihn geradezu „unverschämt“ bedrängen, in viermaligem Ruf: „Komm, errette uns, erhebe dich, säume nicht länger.“ Die Sehnsucht nach ihm kennt keine Grenze. Gott will gebeten werden, Gott will mit unbändigem Glauben, mit einer unbändigen Hoffnung bedrängt werden. Mit solch unbändigem Vertrauen geben wir ihm die Ehre.

20.12.: O Clavis David, o Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel – du öffnest, und niemand kann schließen, du schließt, und keine Macht vermag zu öffnen: komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fesseln des Todes! (Antiphon anhören)
Schlüssel, ein Zeichen der Verfügungsgewalt. Wer den Schlüssel besitzt, kann Eintritt gewähren oder verwehren. Wer den Schlüssel besitzt, der trägt die Verantwortung. Wem das Zepter verliehen wurde, dem ist alle Macht gegeben. „Komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fesseln des Todes.“ – Dies ist die erschütterndste Adventsbitte. Es geht um die Existenzfrage unseres Lebens. Jeder kann sich in dieser Bitte wiederfinden. Auch wir sind im Kerker der Finsternis, in der Nacht unserer Seele. Für jeden Menschen gibt es Zeiten, in denen er durch das Dunkel wie durch einen Tunnel gehen muss. Wir kennen die Fragen, die kein Mensch uns beantworten kann, die Zweifel, die an unserem Herzen nagen, die innere Zerrissenheit, die Einsamkeit und die quälende Suche nach dem Willen Gottes für uns. Aus solcher Not erwächst der Schrei: Öffne, mein Gott, den Kerker meines Herzens und reiß mich aus der Finsternis! Du, Herr, kannst es, du kannst meine Verschlossenheit aufbrechen, meine Stummheit lösen, du kannst mir die Angst nehmen und meine Finsternis erhellen.

21.12: O Oriens, o Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, der Gerechtigkeit strahlende Sonne: Komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und im Schatten des Todes. (Antiphon anhören)
„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf“ (Jes 9,1). Drei Bilder umschreiben das aufstrahlende Licht. Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, Sonne der Gerechtigkeit. Der Morgenstern ist Symbol der Hoffnung: klar und funkelnd geht er auf, durchbricht das Dunkel der Nacht und kündet die aufgehende Sonne an, Weihnachten, den Morgen Christi. Von ihm geht Glanz aus, strahlendes Licht, Helligkeit, ganz rein, ohne jede Versehrtheit. Der Morgenstern wächst an zur strahlenden Sonne, immer heller leuchtet der Tag: Leben, Licht, Wärme, Freude, das ist Christus für die Welt des Glaubens. Er ist das Licht, das neue Verhältnisse schafft. Er allein kann uns retten aus den Schatten des Todes, aus Erfahrungen der Grenze, des Scheiterns, des Älterwerdens, der Todesahnung, der Sorgen und Nöte. In diesen Erfahrungen der Dunkelheit fordert uns die Adventsbotschaft he-raus: „Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt!“ (Jes 60,1)

22.12.: O Rex Gentium, o König aller Völker, ihre Erwartung und Sehnsucht; Schlussstein, der die Gegensätze eint: Komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet hast! (Antiphon anhören)
Wir tun uns heute schwer mit der Vorstellung des Königtums Christi. Zu schnell verbinden wir sie in einem Jahrhundert der Diktatoren mit Gewaltherrschaft, Macht und Ohnmacht. Für Israel verknüpft sich mit dem Bild des Königs anderes: Der König ist der Diener des Bundesgottes, der mit der Wahrung der Gottesordnung Beauftragte. Nicht Feldherrentalent oder staatsmännische Begabung, auch nicht innerpolitische Machtbefugnisse schaffen den König, sondern sein persönlicher Ausweis als der mit göttlicher Kraft Erfüllte. Christus ist der König, das heißt: er ist der von Gott eingesetzte Lenker der Völker, der Friedensfürst. Auf ihn setzen die Menschen ihre Hoffnung, auf ihn richtet sich ihre Sehnsucht durch die Jahrtausende. Er ist der Schlussstein, der den ganzen Bau zusammenhält. Aber er ist auch der Stein des Anstoßes. Die Begegnung mit Christus stellt in die Entscheidung. Es geht um nichts Geringeres als um Gewinn oder Verlust des Lebens. Darum schließt sich die flehentliche Bitte an: Komm, rette deine Geschöpfe, errette, was du selbst gemacht hast. Das heißt doch auch: Gott weiß sich für uns verantwortlich. Wir dürfen uns darauf berufen, seine Geschöpfe zu sein – in aller Hinfälligkeit. Er kann uns wieder heil machen. Heil sein bedeutet: Gott ganz zugewandt sein und zur gleichen Zeit in sich ruhend. Ganz Auge und Ohr auf Gott hin sein und zu-gleich in sich gesammelt. Unsere Identität besteht im Anschauen Gottes, dazu sind wir geschaffen, darin finden wir Erfüllung. Das ist Advent. Maranatha – komm! Amen, ja komm, Herr Jesus!

23.12.: O Emmanuel, Gott mit uns, unser König und Lehrer, du Hoffnung und Heiland der Völker: Komm, eile und schaffe uns Hilfe, du unser Herr und unser Gott! (Antiphon anhören)
Die letzte O-Antiphon fasst noch einmal zusammen, was in den vergangenen Tagen besungen wurde. Alles hat sich gesteigert und drängt hin auf den morgigen Tag: Heute sollt ihr wissen, dass der Herr kommt, und morgen sollt ihr seine Herrlichkeit schauen. O Emmanuel – Du, der du mit uns bist, der du mit uns warst, der du kommst. Das ist ein Glaubensbekenntnis, nicht eine neutrale Aussage über Gott. Emmanuel, das ist ein Name ganz großen Vertrauens. Dieser Gott ist unsere einzige Hoffnung in allen Hoffnungs-losigkeiten unserer Tage. Er ist der Heiland, der uns Heilung bringt. Ihn dürfen wir an-rufen: Komm, schaffe uns Hilfe! Schaffe uns neu, schaffe die Welt neu. Schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der kein Leid mehr sein wird, kein Schmerz und keine Tränen.

Von Sr. Christiane Rath OSB †

Wahrheit von unten

Gott wird Mensch. Weihnachten feiern wir, dass Gott herabkommt, absteigt, sich entäußert, Kenosis. Dass er auf unsere Erde tritt. Aber die Liturgie geht noch viel weiter: Gott kommt von unten; er wächst aus der Erde. Aus Lehm. Er sprengt die Kruste und wächst als zarter, grüner Keim.

In der benediktinischen Tradition ist in der Vigil von Weihnachten die erste Antiphon der 2. Nokturn – also die 7. Antiphon – dem 84. / 85. Psalm entnommen, nach römischer Ordnung die 6. Antiphon:

„Wahrheit geht von der Erde aus – die Wahrheit ist aus der Erde entsprungen – und Gott schaut vom Himmel mit Wohlgefallen zu: und die Gerechtigkeit schaut von Himmel herab.“

Wahrheit aus der Erde. Pilatus fragt nach: „Was ist Wahrheit?“ Jesus sagt sie aus: „Ich bin König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ (Joh 18,37)

Augustinus deutet in seinem Psalmenkommentar den Vers:
„‚Die Wahrheit ist aus der Erde entsprungen‘, der Sohn ist aus dem Fleisch hervorgegangen. Was ist die Wahrheit? Der Sohn Gottes. Was ist die Erde? Das Fleisch. Frage, woher Christus geboren ist, und du wirst sehen, dass ‚die Wahrheit aus der Erde entsprungen ist‘. Aber diese Wahrheit, die aus der Erde entsprungen ist, war vor der Erde, und Himmel und Erde sind durch sie geschaffen worden.“[1]

Auch Leo der Große predigt in seiner 4. Weihnachtspredigt[2] in diesem Sinn und zitiert dabei Jesaja: „Die Erde bringe uns den Heiland und lasse ihn hervorsprießen, und die Gerechtigkeit entspringe zugleich.“[3]

Das heißt also: wir dürfen nicht warten, dass Gott im Himmel mit den Fingern schnippt und plötzlich wird auf der Erde alles gut. Flüchtlingselend und Pandemie lösen sich in Wohlgefallen auf. Nein, die Lösung muss von uns kommen. Auf der Erde wird sie entspringen, wachsen und sich ausbreiten. Viele kleine keimende Anfänge müssen Asphalt und Mauern durchbrechen. Wachsen zum Frieden auf Erden.

 

Text: Sr. Klara Antons OSB

Bild: Sr. Lutgardis Bonitz OSB

[1] Augustinus, Enarrationes in Psalmos (84,12), CCSL 34, 1956, 1173. Übersetzung: Joseph Pascher, Das liturgische Jahr, 1963, 379.

[2] Sermo 24,3; Leo der Große, Sämtliche Sermonen Bd I, Bibliothek der Kirchenväter 1927, 97.

[3] Jes 45,8 (LXX).                                                                                                                                Weihnachten 2020

Schauend von fern,

gewahr’ ich Gottes Macht, die kommt

Wolkendunkel bedeckt die ganze Erde –

Eilt ihm entgegen…

Diese vier kurzen Zeilen entstammen einem Adventslied aus den frühen Anfängen des Christentums. So alt es auch ist, so sehr kann es auch uns heute ganz tief aus dem Herzen sprechen.

„Schauend von fern“  – Sehnsucht und Verheißung liegt in diesen Worten. Kennen wir nicht auch Situationen, in denen wir lernen mussten und müssen, mit einer nur geahnten, letztlich aber unerfüllten Sehnsucht zu leben? Der Advent ist eine Zeit, in der uns unsere Sehnsucht nach erfülltem Leben, nach Licht, Wärme und Geborgenheit ganz besonders bewusst wird.

„…Gewahr’ ich Gottes Macht, die kommt“ – in diesem Vers leuchtet der Psalm 80 auf mit seinem Ruf: „Wecke auf deine Macht; komm und erlöse uns“. Es ist der immer neue Ruf der Menschen nach Erlösung, nach Rettung und nach Heil. Es ist aber noch mehr: es ist der Schrei eines gläubig Vertrauenden, eines Menschen, der im Tiefsten weiß, dass Gott da ist, und dass er die Macht hat, unser Schicksal zu wenden.

„Wolkendunkel bedeckt die ganze Erde“. Was mag der Dichter dieses Textes hier vor seinem inneren Auge gesehen haben? Welche Dunkelheiten mag er gemeint haben? Die in seinem eigenen Herzen oder die in der nahen und weiten Welt? Jedem mag hier ganz Persönliches in den Sinn kommen. Auch dies gehört zur Grundstimmung des adventlichen Menschen, der sich aus dunkler Schwere heraus in das Licht der Hoffnung und des neuen Anfangs erhebt. Ist uns dieser Vers nicht aus dem Herzen gesprochen, gerade in einer Zeit, in der das Dunkel Überhand zu nehmen scheint und wir manchmal nur gegen alle Hoffnung hoffen?

„Eilt ihm entgegen“ – wem? Der Ankunft Gottes mitten hinein in unsere Welt. Die Kerzen sind dabei zum Sinnbild für adventliches Warten und Ausschauhalten geworden, für die Wachsamkeit und Bereitschaft. Wir könnten uns fragen: Warten wir eigentlich noch? Sind wir eigentlich bereit für die Ankunft Gottes – auch im eigenen Herzen? Dies ist ja das unterscheidend Christliche: dass dieser Gott Mensch geworden und uns so nahe gekommen ist, dass wir ihm ganz persönlich begegnen können. Versuchen wir doch in diesen Tagen des Advent wieder neu, sein Kommen durch die Intensität unserer Liebe, durch die Stärke unseres Glaubens und durch das Licht unserer Hoffnung zu erfahren und weiter zu schenken.

Wir wünschen Ihnen einen gesegneten Advent.

 

 

Jemand muß zuhause sein, Herr,
wenn du kommst.
Jemand muß dich erwarten
unten am Fluß
vor der Stadt.

Jemand muß dich erwarten
oberhalb Rüdesheims und Eibingens
zwischen den Weinbergen, so könnten wir es umdichten.

Zuhause sein

Die Abtei ist unser Zuhause. Wir sind dort zuhause, weil jede von uns sich von Gott hierhin gerufen weiß, in Gemeinschaft zu beten und zu arbeiten. Aber die Abtei soll nicht nur für uns Schwestern ein Zuhause sein. Deshalb ist es ein Glück für uns, wenn ich Gäste an der Pforte erlebe, die öfter zu einem Gastaufenthalt kommen und sagen: „Jetzt bin ich wieder zu Hause.“ Oder bei der Verabschiedung: „Ich fühlte mich hier wirklich zuhause.“ Es ist schön ein Zuhause zu haben- wie viele Menschen haben es nicht!- und es ist schön zu hören, daß sich Menschen bei uns angenommen fühlen. Weiterlesen

Die Tage vom 17.–23. Dezember sind durch die sieben O-Antiphonen in der Vesper besonders herausgehoben. In ihnen wird Jesus Christus unter Bildworten und Titeln angerufen, die im Alten Testament dem erwarteten Messias zugesprochen werden. Die O-Antiphonen haben alle denselben Aufbau. Sie beginnen mit dem „O“, dem bewundernden Ausruf des Staunens über Gottes Heilstaten, die sich in besonderer Weise in Christus, unserem Erlöser, offenbart haben. Dann schließt sich ein messianischer Hoheitstitel aus dem Alten Testament an, der jeweils auf Jesus Christus hin gedeutet wird. Auf diese Hoheitstitel folgt eine Aussage über das, was der Herr tut oder wie er seine Herrschaft ausübt. In dem eindringlichen Ruf »Veni« – Komm! – drückt sich die Heilssehnsucht des Gottesvolkes bis heute aus. Es sind wunderbare Bilder, zum Teil Erinnerungen an das Wirken Gottes an seinem Volk Israel. Text und Melodie sind zu einer Einheit verschmolzen. Wer sich von dieser innigen Einheit erfassen lässt, wird etwas erfahren von der Sehnsucht, mit der diese Tage zum Weihnachtsfest hindrängen. Es geht um das Hören, Singen und Beten dessen, was Ziel unserer Sehnsucht ist.

Alle sieben Hoheitstitel umkreisen das Mysterium Gottes: O Weisheit, O Adonai, O Wurzel Jesse, O Schlüssel Davids, O Morgenstern, O König der Könige, O Emmanuel! Gott kann man keinen gültigen Namen geben, sondern Gott ist der Name über alle Namen (Phil 2,9). Wir können ihn nicht benennen, uns seiner nicht bemächtigen, son-dern ihn nur mit vielen Bildern umschreiben. Gott lässt sich nicht erkennen, sondern nur erahnen. Er ist das „mysterium tremendum“, das „mysterium fascinosum“ unseres Le-bens. Nur manchmal dürfen wir etwas von ihm erahnen. Gott ist nicht Statik, sondern unerhörte Dynamik. Er kommt in vielen Erscheinungsformen auf uns zu. Er ist immer der ganz andere. Wir können uns nur stammelnd und bewundernd diesem Mysterium nähern. Nur in dieser Haltung beginnen wir zu ahnen, was es heißen mag: Gott wird Mensch – et incarnatus est. Dieser Gott will mich, dieser Gott liebt mich – welch unbegreifliche Wahrheit.



osapientia117. Dezember: O Sapientia , o Weisheit, hervorgegangen aus dem Mund des Höchsten – die Welt umspannst du von einem Ende zum andern, in Kraft und Milde ordnest du alles: Komm und offenbare uns den Weg der Weisheit und Einsicht.
Die Weisheit wird im Neuen Testament auf Christus übertragen. „Gott hat Christus für uns zur Weisheit gemacht, damit wir in ihm ihre Schätze finden“ (Kol 2,3). Von diesem Christus wird gesagt, er herrsche in Kraft und Milde. Ist das für uns nicht vielfach ein Gegensatz? Da ist einer, der sich durchsetzen kann, und da ist der andere in Milde. Bei Christus fällt beides zusammen. Er herrscht mit zarter Kraft und starker Milde. So ordnet er alles. Alles bekommt bei ihm Maß und Mitte. Maß heißt nicht Mittelmaß, sondern in der Mitte des Wesens ruhen. – „Komm!“, in diese Bitte mündet die Antiphon ein. Komm und offenbare Dich! Eine ganz große Bitte. Wo Gott sich offenbart, erkennen wir, wird uns Einsicht, Wissen des Herzens geschenkt.

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oadonai118.12.: O Adonai, Herr und Führer des Hauses Israel – im flammenden Dornbusch bist du Mose erschienen und hast ihm auf dem Berg das Gesetz gegeben: komm und befreie uns mit deinem starken Arm.
Adonai – der Gottesname war dem Volk Israel heilig: Gott war der Unaussprechliche. Gott, der ganz andere, zu dem vom Menschen her kein Zugang möglich ist, er hat sich uns offenbart als Herr des gesamten Kosmos, als Herr der Geschichte. Er führt uns durch alle Höhen und Tiefen, durch alle Schmerzen und Verlassenheiten. Advent, Weihnach-ten, das bedeutet, dieser Gott, der die Herrschaft über Zeit und Geschichte hat, wird Mensch. O Adonai, Herr, mein Herr! Wo Gott erscheint, da brennt der Dornbusch, da ist Feuer und Brand. „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; und was will ich anders, als dass es brenne.“ Wo Gott kommt, da kann sich ein Leben mit einem Schlag verändern, da setzt er neue Maßstäbe. Er bietet uns seinen Bund an, sagt Ja zu uns. Und so dürfen wir auch Ja sagen zu ihm. Er ist uns treu, und nie ist es für uns zu spät, in die Bundestreue zurückzukehren. Wenn wir es nicht können, so ist es doch er, der uns mit starkem Arm in die Freiheit der ersten Liebe zurückführt.

O Adonai (MP3-Datei anhören)

 



oradixjesse119.12.: O Radix Jesse, o Spross aus der Wurzel Jesse, gesetzt zum Zeichen für die Völker – vor dir verstummen die Herrscher der Erde, dich flehen an die Völker: komm und errette uns, erhebe dich, säume nicht Länger.
Christus, der Wurzelstock – die Wurzel ist Symbol des Urgrunds, aus dem alles Sein und Wachsen hervorkommt. Das heißt glauben: verwurzelt sein in Ihm; hier findet der Mensch seine Identität. In Christus, dem Wurzelstock aus dem Urgrund Gottes. Wurzeln schlagen, das ist ein Lebensprogramm. Christus ist uns gesetzt zum Zeichen, er ist das Signal, das uns aufrütteln will aus unserer Schläfrigkeit. Advent fordert Entscheidung, ob wir uns dem Signal stellen wollen. Nicht aus eigener Kraft können wir uns entscheiden; wir müssen Gott bitten, dass er es in uns wirkt. Wir dürfen ihn geradezu „unverschämt“ bedrängen, in viermaligem Ruf: „Komm, errette uns, erhebe dich, säume nicht länger.“ Die Sehnsucht nach ihm kennt keine Grenze. Gott will gebeten werden, Gott will mit unbändigem Glauben, mit einer unbändigen Hoffnung bedrängt werden. Mit solch unbändigem Vertrauen geben wir ihm die Ehre.

O Radix Jesse (MP3-Datei anhören)

 

 



Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.45.3420.12.: O Clavis David, o Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel – du öffnest, und niemand kann schließen, du schließt, und keine Macht vermag zu öffnen: komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fesseln des Todes!
Schlüssel, ein Zeichen der Verfügungsgewalt. Wer den Schlüssel besitzt, kann Eintritt gewähren oder verwehren. Wer den Schlüssel besitzt, der trägt die Verantwortung. Wem das Zepter verliehen wurde, dem ist alle Macht gegeben. „Komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fesseln des Todes.“ – Dies ist die erschütterndste Adventsbitte. Es geht um die Existenzfrage unseres Lebens. Jeder kann sich in dieser Bitte wiederfinden. Auch wir sind im Kerker der Finsternis, in der Nacht unserer Seele. Für jeden Menschen gibt es Zeiten, in denen er durch das Dunkel wie durch einen Tunnel gehen muss. Wir kennen die Fragen, die kein Mensch uns beantworten kann, die Zweifel, die an unserem Herzen nagen, die innere Zerrissenheit, die Einsamkeit und die quälende Suche nach dem Willen Gottes für uns. Aus solcher Not erwächst der Schrei: Öffne, mein Gott, den Kerker meines Herzens und reiß mich aus der Finsternis! Du, Herr, kannst es, du kannst meine Verschlossenheit aufbrechen, meine Stummheit lösen, du kannst mir die Angst nehmen und meine Finsternis erhellen.

OclavisDavidnurAnt (MP3-Datei anhören)



Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.53.5821.12: O Oriens, o Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, der Gerechtigkeit strahlende Sonne: Komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und im Schatten des Todes.
„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finster-nis wohnen, strahlt ein Licht auf“ (Jes 9,1). Drei Bilder umschreiben das aufstrahlende Licht. Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, Sonne der Gerechtigkeit. Der Mor-genstern ist Symbol der Hoffnung: klar und funkelnd geht er auf, durchbricht das Dunkel der Nacht und kündet die aufgehende Sonne an, Weihnachten, den Morgen Christi. Von ihm geht Glanz aus, strahlendes Licht, Helligkeit, ganz rein, ohne jede Versehrtheit. Der Morgenstern wächst an zur strahlenden Sonne, immer heller leuchtet der Tag: Leben, Licht, Wärme, Freude, das ist Christus für die Welt des Glaubens. Er ist das Licht, das neue Verhältnisse schafft. Er allein kann uns retten aus den Schatten des Todes, aus Er-fahrungen der Grenze, des Scheiterns, des Älterwerdens, der Todesahnung, der Sorgen und Nöte. In diesen Erfahrungen der Dunkelheit fordert uns die Adventsbotschaft he-raus: „Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt!“ (Jes 60,1)

OOriensnurAnt (MP3-Datei anhören)



Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.53.3922.12.: O Rex Gentium, o König aller Völker, ihre Erwartung und Sehnsucht; Schlussstein, der die Gegensätze eint: Komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet hast!
Wir tun uns heute schwer mit der Vorstellung des Königtums Christi. Zu schnell verbin-den wir sie in einem Jahrhundert der Diktatoren mit Gewaltherrschaft, Macht und Ohnmacht. Für Israel verknüpft sich mit dem Bild des Königs anderes: Der König ist der Diener des Bundesgottes, der mit der Wahrung der Gottesordnung Beauftragte. Nicht Feldherrentalent oder staatsmännische Begabung, auch nicht innerpolitische Machtbe-fugnisse schaffen den König, sondern sein persönlicher Ausweis als der mit göttlicher Kraft Erfüllte. Christus ist der König, das heißt: er ist der von Gott eingesetzte Lenker der Völker, der Friedensfürst. Auf ihn setzen die Menschen ihre Hoffnung, auf ihn richtet sich ihre Sehnsucht durch die Jahrtausende. Er ist der Schlussstein, der den ganzen Bau zusammenhält. Aber er ist auch der Stein des Anstoßes. Die Begegnung mit Christus stellt in die Entscheidung. Es geht um nichts Geringeres als um Gewinn oder Verlust des Lebens. Darum schließt sich die flehentliche Bitte an: Komm, rette deine Geschöpfe, errette, was du selbst gemacht hast. Das heißt doch auch: Gott weiß sich für uns verantwortlich. Wir dürfen uns darauf berufen, seine Geschöpfe zu sein – in aller Hinfälligkeit. Er kann uns wieder heil machen. Heil sein bedeutet: Gott ganz zugewandt sein und zur gleichen Zeit in sich ruhend. Ganz Auge und Ohr auf Gott hin sein und zu-gleich in sich gesammelt. Unsere Identität besteht im Anschauen Gottes, dazu sind wir geschaffen, darin finden wir Erfüllung. Das ist Advent. Maranatha – komm! Amen, ja komm, Herr Jesus!

ORexGentiumnurAnt (MP3-Datei anhören)



Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.54.1323.12.: O Emmanuel, Gott mit uns, unser König und Lehrer, du Hoffnung und Heiland der Völker: Komm, eile und schaffe uns Hilfe, du unser Herr und unser Gott!
Die letzte O-Antiphon fasst noch einmal zusammen, was in den vergangenen Tagen besungen wurde. Alles hat sich gesteigert und drängt hin auf den morgigen Tag: Heute sollt ihr wissen, dass der Herr kommt, und morgen sollt ihr seine Herrlichkeit schauen. O Emmanuel – Du, der du mit uns bist, der du mit uns warst, der du kommst. Das ist ein Glaubensbekenntnis, nicht eine neutrale Aussage über Gott. Emmanuel, das ist ein Na-me ganz großen Vertrauens. Dieser Gott ist unsere einzige Hoffnung in allen Hoffnungs-losigkeiten unserer Tage. Er ist der Heiland, der uns Heilung bringt. Ihn dürfen wir an-rufen: Komm, schaffe uns Hilfe! Schaffe uns neu, schaffe die Welt neu. Schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der kein Leid mehr sein wird, kein Schmerz und keine Tränen.

OEmmanulenurAnt (MP3-Datei anhören)

 

 



Von Sr. Christiane Rath OSB