Die Tage vom 17.–23. Dezember sind durch die sieben O-Antiphonen in der Vesper besonders herausgehoben. In ihnen wird Jesus Christus unter Bildworten und Titeln angerufen, die im Alten Testament dem erwarteten Messias zugesprochen werden. Die O-Antiphonen haben alle denselben Aufbau. Sie beginnen mit dem „O“, dem bewundernden Ausruf des Staunens über Gottes Heilstaten, die sich in besonderer Weise in Christus, unserem Erlöser, offenbart haben. Dann schließt sich ein messianischer Hoheitstitel aus dem Alten Testament an, der jeweils auf Jesus Christus hin gedeutet wird. Auf diese Hoheitstitel folgt eine Aussage über das, was der Herr tut oder wie er seine Herrschaft ausübt. In dem eindringlichen Ruf »Veni« – Komm! – drückt sich die Heilssehnsucht des Gottesvolkes bis heute aus. Es sind wunderbare Bilder, zum Teil Erinnerungen an das Wirken Gottes an seinem Volk Israel. Text und Melodie sind zu einer Einheit verschmolzen. Wer sich von dieser innigen Einheit erfassen lässt, wird etwas erfahren von der Sehnsucht, mit der diese Tage zum Weihnachtsfest hindrängen. Es geht um das Hören, Singen und Beten dessen, was Ziel unserer Sehnsucht ist.

Alle sieben Hoheitstitel umkreisen das Mysterium Gottes: O Weisheit, O Adonai, O Wurzel Jesse, O Schlüssel Davids, O Morgenstern, O König der Könige, O Emmanuel! Gott kann man keinen gültigen Namen geben, sondern Gott ist der Name über alle Namen (Phil 2,9). Wir können ihn nicht benennen, uns seiner nicht bemächtigen, son-dern ihn nur mit vielen Bildern umschreiben. Gott lässt sich nicht erkennen, sondern nur erahnen. Er ist das „mysterium tremendum“, das „mysterium fascinosum“ unseres Le-bens. Nur manchmal dürfen wir etwas von ihm erahnen. Gott ist nicht Statik, sondern unerhörte Dynamik. Er kommt in vielen Erscheinungsformen auf uns zu. Er ist immer der ganz andere. Wir können uns nur stammelnd und bewundernd diesem Mysterium nähern. Nur in dieser Haltung beginnen wir zu ahnen, was es heißen mag: Gott wird Mensch – et incarnatus est. Dieser Gott will mich, dieser Gott liebt mich – welch unbegreifliche Wahrheit.


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17. Dezember: O Sapientia , O Weisheit, hervorgegangen aus dem Mund des Höchsten – die Welt umspannst du von einem Ende zum andern, in Kraft und Milde ordnest du alles: Komm und offenbare uns den Weg der Weisheit und Einsicht.
Die Weisheit wird im Neuen Testament auf Christus übertragen. „Gott hat Christus für uns zur Weisheit gemacht, damit wir in ihm ihre Schätze finden“ (Kol 2,3). Von diesem Christus wird gesagt, er herrsche in Kraft und Milde. Ist das für uns nicht vielfach ein Gegensatz? Da ist einer, der sich durchsetzen kann, und da ist der andere in Milde. Bei Christus fällt beides zusammen. Er herrscht mit zarter Kraft und starker Milde. So ordnet er alles. Alles bekommt bei ihm Maß und Mitte. Maß heißt nicht Mittelmaß, sondern in der Mitte des Wesens ruhen. – „Komm!“, in diese Bitte mündet die Antiphon ein. Komm und offenbare Dich! Eine ganz große Bitte. Wo Gott sich offenbart, erkennen wir, wird uns Einsicht, Wissen des Herzens geschenkt.



oadonai118.12.: O Adonai, Herr und Führer des Hauses Israel – im flammenden Dornbusch bist du Mose erschienen und hast ihm auf dem Berg das Gesetz gegeben: komm und befreie uns mit deinem starken Arm.
Adonai – der Gottesname war dem Volk Israel heilig: Gott war der Unaussprechliche. Gott, der ganz andere, zu dem vom Menschen her kein Zugang möglich ist, er hat sich uns offenbart als Herr des gesamten Kosmos, als Herr der Geschichte. Er führt uns durch alle Höhen und Tiefen, durch alle Schmerzen und Verlassenheiten. Advent, Weihnach-ten, das bedeutet, dieser Gott, der die Herrschaft über Zeit und Geschichte hat, wird Mensch. O Adonai, Herr, mein Herr! Wo Gott erscheint, da brennt der Dornbusch, da ist Feuer und Brand. „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; und was will ich anders, als dass es brenne.“ Wo Gott kommt, da kann sich ein Leben mit einem Schlag verändern, da setzt er neue Maßstäbe. Er bietet uns seinen Bund an, sagt Ja zu uns. Und so dürfen wir auch Ja sagen zu ihm. Er ist uns treu, und nie ist es für uns zu spät, in die Bundestreue zurückzukehren. Wenn wir es nicht können, so ist es doch er, der uns mit starkem Arm in die Freiheit der ersten Liebe zurückführt.



oradixjesse119.12.: O Radix Jesse, O Spross aus der Wurzel Jesse, gesetzt zum Zeichen für die Völker – vor dir verstummen die Herrscher der Erde, dich flehen an die Völker: komm und errette uns, erhebe dich, säume nicht Länger.
Christus, der Wurzelstock – die Wurzel ist Symbol des Urgrunds, aus dem alles Sein und Wachsen hervorkommt. Das heißt glauben: verwurzelt sein in Ihm; hier findet der Mensch seine Identität. In Christus, dem Wurzelstock aus dem Urgrund Gottes. Wurzeln schlagen, das ist ein Lebensprogramm. Christus ist uns gesetzt zum Zeichen, er ist das Signal, das uns aufrütteln will aus unserer Schläfrigkeit. Advent fordert Entscheidung, ob wir uns dem Signal stellen wollen. Nicht aus eigener Kraft können wir uns entscheiden; wir müssen Gott bitten, dass er es in uns wirkt. Wir dürfen ihn geradezu „unverschämt“ bedrängen, in viermaligem Ruf: „Komm, errette uns, erhebe dich, säume nicht länger.“ Die Sehnsucht nach ihm kennt keine Grenze. Gott will gebeten werden, Gott will mit unbändigem Glauben, mit einer unbändigen Hoffnung bedrängt werden. Mit solch unbändigem Vertrauen geben wir ihm die Ehre.


Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.45.3420.12.: O Clavis David, O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel – du öffnest, und niemand kann schließen, du schließt, und keine Macht vermag zu öffnen: komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fesseln des Todes!
Schlüssel, ein Zeichen der Verfügungsgewalt. Wer den Schlüssel besitzt, kann Eintritt gewähren oder verwehren. Wer den Schlüssel besitzt, der trägt die Verantwortung. Wem das Zepter verliehen wurde, dem ist alle Macht gegeben. „Komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fesseln des Todes.“ – Dies ist die erschütterndste Adventsbitte. Es geht um die Existenzfrage unseres Lebens. Jeder kann sich in dieser Bitte wiederfinden. Auch wir sind im Kerker der Finsternis, in der Nacht unserer Seele. Für jeden Menschen gibt es Zeiten, in denen er durch das Dunkel wie durch einen Tunnel gehen muss. Wir kennen die Fragen, die kein Mensch uns beantworten kann, die Zweifel, die an unserem Herzen nagen, die innere Zerrissenheit, die Einsamkeit und die quälende Suche nach dem Willen Gottes für uns. Aus solcher Not erwächst der Schrei: Öffne, mein Gott, den Kerker meines Herzens und reiß mich aus der Finsternis! Du, Herr, kannst es, du kannst meine Verschlossenheit aufbrechen, meine Stummheit lösen, du kannst mir die Angst nehmen und meine Finsternis erhellen.


Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.53.5821.12: O Oriens, O Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, der Gerechtigkeit strahlende Sonne: Komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und im Schatten des Todes.
„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finster-nis wohnen, strahlt ein Licht auf“ (Jes 9,1). Drei Bilder umschreiben das aufstrahlende Licht. Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, Sonne der Gerechtigkeit. Der Mor-genstern ist Symbol der Hoffnung: klar und funkelnd geht er auf, durchbricht das Dunkel der Nacht und kündet die aufgehende Sonne an, Weihnachten, den Morgen Christi. Von ihm geht Glanz aus, strahlendes Licht, Helligkeit, ganz rein, ohne jede Versehrtheit. Der Morgenstern wächst an zur strahlenden Sonne, immer heller leuchtet der Tag: Leben, Licht, Wärme, Freude, das ist Christus für die Welt des Glaubens. Er ist das Licht, das neue Verhältnisse schafft. Er allein kann uns retten aus den Schatten des Todes, aus Er-fahrungen der Grenze, des Scheiterns, des Älterwerdens, der Todesahnung, der Sorgen und Nöte. In diesen Erfahrungen der Dunkelheit fordert uns die Adventsbotschaft he-raus: „Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt!“ (Jes 60,1)


Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.53.3922.12.: O Rex Gentium, O König aller Völker, ihre Erwartung und Sehnsucht; Schlussstein, der die Gegensätze eint: Komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet hast!
Wir tun uns heute schwer mit der Vorstellung des Königtums Christi. Zu schnell verbin-den wir sie in einem Jahrhundert der Diktatoren mit Gewaltherrschaft, Macht und Ohnmacht. Für Israel verknüpft sich mit dem Bild des Königs anderes: Der König ist der Diener des Bundesgottes, der mit der Wahrung der Gottesordnung Beauftragte. Nicht Feldherrentalent oder staatsmännische Begabung, auch nicht innerpolitische Machtbe-fugnisse schaffen den König, sondern sein persönlicher Ausweis als der mit göttlicher Kraft Erfüllte. Christus ist der König, das heißt: er ist der von Gott eingesetzte Lenker der Völker, der Friedensfürst. Auf ihn setzen die Menschen ihre Hoffnung, auf ihn richtet sich ihre Sehnsucht durch die Jahrtausende. Er ist der Schlussstein, der den ganzen Bau zusammenhält. Aber er ist auch der Stein des Anstoßes. Die Begegnung mit Christus stellt in die Entscheidung. Es geht um nichts Geringeres als um Gewinn oder Verlust des Lebens. Darum schließt sich die flehentliche Bitte an: Komm, rette deine Geschöpfe, errette, was du selbst gemacht hast. Das heißt doch auch: Gott weiß sich für uns verantwortlich. Wir dürfen uns darauf berufen, seine Geschöpfe zu sein – in aller Hinfälligkeit. Er kann uns wieder heil machen. Heil sein bedeutet: Gott ganz zugewandt sein und zur gleichen Zeit in sich ruhend. Ganz Auge und Ohr auf Gott hin sein und zu-gleich in sich gesammelt. Unsere Identität besteht im Anschauen Gottes, dazu sind wir geschaffen, darin finden wir Erfüllung. Das ist Advent. Maranatha – komm! Amen, ja komm, Herr Jesus!


Bildschirmfoto 2012-12-19 um 15.54.1323.12.: O Emmanuel, Gott mit uns, unser König und Lehrer, du Hoffnung und Heiland der Völker: Komm, eile und schaffe uns Hilfe, du unser Herr und unser Gott!
Die letzte O-Antiphon fasst noch einmal zusammen, was in den vergangenen Tagen besungen wurde. Alles hat sich gesteigert und drängt hin auf den morgigen Tag: Heute sollt ihr wissen, dass der Herr kommt, und morgen sollt ihr seine Herrlichkeit schauen. O Emmanuel – Du, der du mit uns bist, der du mit uns warst, der du kommst. Das ist ein Glaubensbekenntnis, nicht eine neutrale Aussage über Gott. Emmanuel, das ist ein Na-me ganz großen Vertrauens. Dieser Gott ist unsere einzige Hoffnung in allen Hoffnungs-losigkeiten unserer Tage. Er ist der Heiland, der uns Heilung bringt. Ihn dürfen wir an-rufen: Komm, schaffe uns Hilfe! Schaffe uns neu, schaffe die Welt neu. Schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der kein Leid mehr sein wird, kein Schmerz und keine Tränen.


Von Sr. Christiane Rath OSB

 

Die provencalische Krippe in unserer Kirche zieht in jedem Jahr viele Menschen in ihren Bann. Sie stammt aus dem Benediktinerinnenkloster Ozon in der Provence – alle Figuren sind Unikate und wurden eigens für unsere Abtei hergestellt. Unser Konvent liebt diese Krippe sehr, nicht zuletzt deshalb, weil jede einzelne sich auf irgendeine Weise mit einer der Figuren identifizieren kann. Vielleicht wird es Ihnen ebenso gehen.

Machen wir uns also gemeinsam auf den Weg nach Bethlehem!

Krippenmeditation als PDF

Die alte Bäuerin: 
Wer wartet und wacht, ist immer schon da

Die alte Bäuerin in unserer Krippe erinnert an die hochbetagte Prophetin Hanna, die – wie es im zweiten Kapitel des Lukasevangelium heißt – „gerade zu dieser Stunde kam, Gott pries und über das Kind mit allen redete, die auf die Rettung Jerusalems warteten“. Hanna war noch eine ganz und gar alttestamentliche Gestalt, die aus der erinnerten Vergangenheit des Exodus-Ereignisses lebte und daraus den Maßstab für die Erwartung der Zukunft gewann.

Auch unsere alte Bäuerin hat offenbar Zeit ihres Lebens auf den Erlöser gewartet, wohlwissend und unerschütterlich glaubend, daß sich ihre Erwartung eines Tages erfüllen würde. Sie ist eine einfache und wohl auch arme Frau, mit einem vom Wind gegerbten und vom Leben durchfurchten Gesicht. Sie gehört nicht zu den Gebildeten, wohl aber zu den Weisen.
Sie weiß um das Wesentliche, sie ist ganz wach: ihre gerunzelte Stirn, ihre klaren, hellwachen Augen und ihr heiteres, gütiges Lächeln verraten es. In Ruhe und Gelassenheit kommt sie herbei, kraftvoll zupackend, eine Gans in der linken Hand.
Sie bringt Gaben ihres alltäglichen Lebens zur Krippe – wertvolle Gaben, fast so wie die arme Witwe, die ihren ganzen Lebensunterhalt in den Opferkasten warf. Aber was noch wichtiger ist: die alte Bäuerin bringt sich selbst – mitten heraus aus ihrem einfachen alltäglichen Leben. Mit der ganzen Sehnsucht und Aufmerksamkeit ihres Herzens hat sie auf den Herrn gewartet. Und jetzt ist sie da. Sie hat den rechten Zeitpunkt erwischt, den Kairos, von dem im Alten Testament allein 196 mal die Rede ist. Jenen Augenblick, der vom Menschen begriffen und ergriffen werden will. So kann sie uns lehren, da zu sein, wenn der Augenblick kommt und beherzt zu antworten, wenn der Blick oder der Ruf Gottes uns treffen.

„Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen;
mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen;
Der Augenblick ist mein, und nehm‘ ich den in acht,
So ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“
(Andreas Gryphius)

Der Flötenspieler:
Spielen zur Ehre Gottes

Ein wunderbarer Kontrast zu der alten Bäuerin ist der Hirtenjunge, der auf seiner Flöte spielt. Fast noch ein Kindergesicht hat er – mit Stupsnase und aufgeblasenen Backen. Die Schafe drängen sich dicht an ihn heran, suchen bei ihm Schutz und Halt und Wärme. Oder ist es vielleicht umgekehrt?
Die Augen des Jungen verraten seine Scheu und Unsicherheit. Was mag dort geschehen sein – im Stall von Bethlehem? Was bedeutet die Botschaft der Engel? Der Junge bleibt zurück bei den Tieren, den Schal fest um den Hals gebunden – zum Schutz gegen die Kälte und vielleicht auch gegen die eigene Angst. Aber er spielt. Er spielt die uralten Weisen der Hirten, Melodien, die Zeit und Ewigkeit ineinander verschmelzen lassen.
Hirten sind Menschen des Advent – sie haben Geduld und sie können warten. Sie sind zeitlos sozusagen, immer wachsam und bereit. Nicht umsonst tauchen Hirten in allen Religionen als Prototypen des Wärters auf. Warten, so sagt das Grimmsche Wörterbuch, bedeutet, seinen Blick unverwandt auf etwas richten. Der Hirtenjunge richtet seinen Blick nach vorn und nach innen zugleich. Er ist ganz dem Spiel hingegeben und gleichzeitig ganz dem, für den er spielt.

Dem Liebenden schlägt keine Stunde, heißt es. Dem Spielenden wohl ebenfalls nicht. Im Spiel der Flöte, in der Musik wird dem Neugeborenen ein Lied gesungen, ganz zweckfrei, einfach nur so.

Der Schäfer: 
Teilen macht froh

Freudig-bewegt schaut er drein, der Schäfer mit dem grauen, ein wenig abgegriffenen Schlapphut, der wohl auch schon bessere Tage gesehen hat. Sein fröhliches breites Lächeln um das unrasierte Kinn wirkt fast schon ein wenig kess. Er scheint glücklich zu sein und strahlt das auch aus. Die Freude über die Botschaft der Engel hat ihn zur Krippe getrieben – und als Zeichen seiner Liebe bringt er mit, was er hat: ein halbes Brot, sauber geschnitten, ohne Verpackung und ohne viele Umstände. Die Armen teilen leichter als die Reichen, und sie teilen nicht nur das wenige Materielle, das sie haben, sondern vor allem die Freude und das Glück, das ihnen zuteil geworden ist: „Ich verkünde euch eine große Freude – heute ist euch der Heiland geboren“. Und auch er wird eines Tages im Zeichen des geteilten Brotes unter uns sein. Teilen stiftet Gemeinschaft. Das gilt für das Brot, das wir zum Leben brauchen, das gilt aber auch für die Zeit, die wir einander schenken. Verschenkte Zeit kehrt wie durch ein Wunder stets zum Gebenden zurück. Drum lasst uns teilen wie der Schäfer – froh und ohne zu rechnen.

„Teilst du dein Brot ängstlich
ohne Vertrauen, ohne Wagemut, überstürzt,
wird es dir fehlen. Versuch es zu teilen,
ohne in die Zukunft zu denken, ohne zu rechnen,
als ein Sohn des Herrn über alle Ernten der Welt.
Dann wirst du wahre Freude erfahren.“
(Helder Camara)

Der junge Mönch:
O wie staunenswert sind die Wunder Gottes

Staunen gehört zu den Urerfahrungen des Menschen. Wer nicht mehr staunen kann, hat aufgehört zu leben. Er ist wahrhaft armselig, weil er die täglichen Wunder Gottes nicht mehr sieht.

Der junge Mönch an der Krippe kann noch staunen. Er erscheint fast wie ein leibhaftiges O – O sapientia, O Adonai, O radix Jesse, O clavis David, O oriens, O Rex gentium, O Emmanuel.

Weit geöffnet ist der Mund des Jungen – voller Bewunderung, voller Ehrfurcht. Ob er selbst versteht, was sein Mund schon ausdrückt?
Die unschuldigen, fast noch kindlichen Augen verraten leichtes Zögern, unsicheres Abwarten, aber auch naive Neugier. Mund und Herz haben scheinbar schneller erkannt als Geist und Verstand. Die Hände sind weit nach oben hin geöffnet zur Orante-Haltung.

Der junge Mönch ist bereit zu empfangen – er öffnet sich für das Wunder, das da im Stall von Bethlehem geschehen ist und immer wieder geschieht. Da, wo alle Worte versagen, öffnet sich sein Mund zum stummen O zur Anbetung des Kindes in der Krippe.

Der Kantor: 
Singet und lobet den Herrn

Wie die alte Bäuerin, so ist auch der Kantor über das lebenslange Warten auf den Herrn alt und grau und wohl auch ein wenig müde geworden. Ein seltsamer Ernst schaut aus seinen Augen. Nachdenklich wirkt er und auch ein wenig skeptisch. „Ist es der, auf den wir gewartet haben oder müssen wir auf einen anderen warten?“, scheint er sich mit Johannes dem Täufer zu fragen. Und doch. „Die Zeit – das ist die Spanne meines Lebens, in der wird, was werden soll“, hat Karl Rahner einmal gesagt. Und so weiß auch unser Kantor tief in seinem Inneren: Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade, jetzt ist er da, der Tag des Heils. Und so wird er wach und greift zum Buch. Wie oft mag er die Melodien in seinem Leben schon gesungen haben. Sie sind ihm inwendig vertraut; nun kann er sie auswendig singen. Wer singt, vergisst sich selbst und gibt sich ganz dem Größeren hin. Lobpreis und Dank, Ehre und Anbetung werden dem Kind in der Krippe zuteil. Heute ist uns der Retter geboren, Alleluja.

„Die Musik ist unsere Wahrheit. Wenn sie von Herzen kommt, ist die Schönheit, die wir aus ihr hervorbringen, vielleicht der einzige wirkliche Wegweiser, die einzige Quelle der Erneuerung. Wo andere hadern, können wir heiter sein. Wo andere Spiele betreiben, können wir Herzen bewegen. Wo die Habgierigen raffen, können wir schenken… Vielleicht ist es überhaupt nur die Musik, die das Mystische mit dem Rationalen versöhnen und darin fortfahren kann, die Allgegenwart Gottes der Menschheit vor Augen zu führen.“ (Leonard Bernstein)

Joseph:
„… und seine Treue währet ewiglich“

Was ist diesem Mann nicht alles abgefordert worden. Doch er hat sich bewährt – im Glauben und im Gehorsam, in der Treue und in der Liebe. Ein wenig in sich versunken steht Joseph da: aufrecht, kraftvoll und wachsam. Sein rauhes, gegerbtes Gesicht zeigt, daß das Leben nicht spurlos an ihm vorüber gegangen ist. Aber er hat standgehalten und stellt sich nun schützend an die Seite Mariens. Er ist der Lichtträger, der Hüter der Flamme, die die göttliche Herrlichkeit aufleuchten läßt, die Licht schenkt und Wärme. Liebevoll, auch ein wenig stolz und zufrieden schaut er auf Maria und das Kind. Behutsam hat er die rechte Hand erhoben, um das Licht und das Kind zu schützen. Ob er weiß, daß da das „Licht für die Völker“ in Windeln gewickelt in der Krippe liegt? Sein Sohn, der Gottes Sohn ist. Das Mysterium der Menschwerdung – wer kann es begreifen. Nur der, der täglich neu auf die Stimme Gottes hört, der dem Ruf folgt, der sich auf den Weg macht und seinen Weg in Treue bis zum Ende geht. „Die Treue“, so sagt Gabriel Marcel, „ist der Sieg über die Zeit.“ Nur die Treue verleiht der Zeit Dauer und Bestand. Sie schenkt einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit und lässt erahnen, was Gottes Liebe und Treue bedeuten.

„So sollst du denn erkennen, dass Jahwe, dein Gott, der wahre Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Huld bis auf tausend Geschlechter denen bewahrt, die ihn lieben und seine Gebote halten.“ (Dt 7, 9)

Maria: 
“ … mir geschehe nach deinem Wort“

Maria ist hier zunächst einmal die ganz und gar liebende und fürsorgende Mutter. Ihr Kind liegt auf ihrem Schoß, aus dem es geboren wurde. Heitere Ruhe strahlt sie aus, Sanftmut und seliges Glück. Ihr Gesicht leuchtet von innen; die zarten und feinen Gesichtszüge sind durchlässig für IHN, für das Licht. Fenster zu IHM, das will und das wird sie sein. Schon hier und heute wird das sichtbar. Ihre Augen sind gesenkt; sie schaut auf ihr Kind, hat gleichsam nur Augen für IHN. Die Liebe versteht auch ohne Worte; die Hände sprechen ihre eigene Sprache: bergend und haltend, schützend und freilassend zugleich. Sie kann ihren Sohn nicht festhalten – so wenig wie wir Gott festhalten oder festlegen können. Loslassen will eingeübt werden von Anfang an. Maria sitzt da wie eine Pietà. Später, viel später wird sie ihren gekreuzigten und gestorbenen Sohn genauso auf ihrem Schoß tragen. Ob sie darum heute schon weiß? Vielleicht ahnt sie es tief innen in ihrem Herzen. Dennoch lässt sie sich nicht beirren und ist ganz da in diesem ersten Augenblick. Eine gütige und sanfte, eine starke und mutige Frau, die ihr FIAT spricht zu allem, was Gott ihr zumutet. Das Leben ist die Spanne, in der wird, was werden soll. Im Vertrauen darauf geht Maria ihren Weg.

„Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort…
Selig, die geglaubt hat, dass sich an ihr erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“ (Lk 1, 38.45)

Das Kind: 
Die Zeit ist erfüllt

Zuletzt und doch eigentlich als Erstes liegt da das Kind in seiner Mutter Schoß: kahlköpfig, fast noch einem Embryo gleichend – der Mensch in seiner Urform und Vollendung zugleich.

In IHM hat die Zeit sich erfüllt, hat eine neue Zeit begonnen, begegnen sich Zeit und Ewigkeit. Selbstbewußt schaut es aus, ganz in sich ruhend, ganz bei sich. Ob es seiner Sendung schon gewahr geworden ist?
Den Kopf hat es leicht nach oben gerichtet, hinauf zu seiner Mutter. Aber es blickt sie nicht an, sondern schaut über sie hinaus und durch sie hindurch: „Wußtet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Die rechte kleine Hand liegt auf dem Herzen, so als ob es einen Eid zu schwören gelte: „Ich bin in die Welt gekommen, Euch zu erlösen. Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist da.“

„Denn ein Kind ist uns geboren,
ein Sohn ist uns geschenkt;
die Herrschaft ruht auf seinen Schultern.
Man nennt ihn wunderbarer Ratgeber,
starker Gott, Fürst des Friedens.“
(Jes 9, 5)

Sr. Philippa Rath OSB

Schauend von fern,

gewahr’ ich Gottes Macht, die kommt

– Wolkendunkel bedeckt die ganze Erde –

Eilt ihm entgegen…

Diese vier kurzen Zeilen entstammen einem Adventslied aus den frühen Anfängen des Christentums, das wir traditionsgemäß am Vorabend des Ersten Advent in den Vigilien singen. So alt es auch ist, so sehr kann es auch uns heute ganz tief aus dem Herzen sprechen.

„Schauend von fern“  – Sehnsucht und Verheißung liegt in diesen Worten. Kennen wir nicht auch Situationen, in denen wir lernen mussten und müssen, mit einer nur geahnten, letztlich aber unerfüllten Sehnsucht zu leben? Der Advent ist eine Zeit, in der uns unsere Sehnsucht nach erfülltem Leben, nach Licht, Wärme und Geborgenheit ganz besonders bewusst wird.

„…Gewahr’ ich Gottes Macht, die kommt“ – in diesem Vers leuchtet der Psalm 80 auf mit seinem Ruf: „Wecke auf deine Macht; komm und erlöse uns“. Es ist der immer neue Ruf der Menschen nach Erlösung, nach Rettung und nach Heil. Es ist aber noch mehr: es ist der Schrei eines gläubig Vertrauenden, eines Menschen, der im Tiefsten weiß, dass Gott da ist, und dass er die Macht hat, unser Schicksal zu wenden.

„Wolkendunkel bedeckt die ganze Erde“. Was mag der Dichter dieses Textes hier vor seinem inneren Auge gesehen haben? Welche Dunkelheiten mag er gemeint haben? Die in seinem eigenen Herzen oder die in der nahen und weiten Welt? Jedem mag hier ganz Persönliches in den Sinn kommen. Auch dies gehört zur Grundstimmung des adventlichen Menschen, der sich aus dunkler Schwere heraus in das Licht der Hoffnung und des neuen Anfangs erhebt. Ist uns dieser Vers nicht aus dem Herzen gesprochen, gerade in einer Zeit, in der das Dunkel Überhand zu nehmen scheint und wir manchmal nur gegen alle Hoffnung hoffen?

„Eilt ihm entgegen“ – wem? Der Ankunft Gottes mitten hinein in unsere Welt. Die Kerzen sind dabei zum Sinnbild für adventliches Warten und Ausschauhalten geworden, für die Wachsamkeit und Bereitschaft. Wir könnten uns fragen: Warten wir eigentlich noch? Sind wir eigentlich bereit für die Ankunft Gottes – auch im eigenen Herzen? Dies ist ja das unterscheidend Christliche: dass dieser Gott Mensch geworden und uns so nahe gekommen ist, dass wir ihm ganz persönlich begegnen können. Versuchen wir doch in diesen Tagen des Advent wieder neu, sein Kommen durch die Intensität unserer Liebe, durch die Stärke unseres Glaubens und durch das Licht unserer Hoffnung zu erfahren und weiter zu schenken.

Wir wünschen Ihnen einen gesegneten Advent.

 

Sr. Philippa Rath OSB

Liebe Gottesdienstbesucherinnen und -besucher,

wir laden Sie herzlich ein, die Weihnachtsgottesdienste mit uns in der Abteikirche zu feiern. Ein allgemeiner Hinweis vorweg: Unsere Kirche ist kalt, ziehen Sie sich also bitte möglichst warm an. Unsere Zeiten sind die folgenden:


Am 24.12.:

08.00 Uhr       Eucharistiefeier
12.00 Uhr        Mittagsgebet
15.00 Uhr       Erste Vesper von Weihnachten
17.00 Uhr        Vigilien von Weihnachten
21.00 Uhr        Christmette

 

Am 25.12.:    

09.00 Uhr        Eucharistiefeier
12.00 Uhr        Mittagsgebet
17.30 Uhr        Zweite Vesper von Weihnachten

 

Am 26.12.:     

09.00 Uhr       Eucharistiefeier
12.00 Uhr       Mittagsgebet
17.30 Uhr       Vesper

                

Am 31.12.:

08.00 Uhr       Eucharistiefeier
12.00 Uhr         Mittagsgebet
17.30 Uhr         Vesper

 

Am 01.01. 2024:

09.00 Uhr       Eucharistiefeier
12.00 Uhr        Mittagsgebet
17.30 Uhr        Vesper

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Trotzdem

  • Sind Sie aus der Kirche ausgetreten und trotzdem gläubige Christen geblieben?
  • Sind Sie auf Distanz zur Kirche gegangen und trotzdem Suchende?
  • Sind Sie von der Institution oder einzelnen Vertretern verletzt worden und wollen trotzdem nicht aufgeben?
  • Haben Sie vielleicht ihren Glauben gänzlich  verloren, sind aber trotzdem auf der Suche nach Sinn? 

Dann seien Sie uns herzlich willkommen!

Wir Schwestern von der Abtei St. Hildegard möchten Ihnen einen Raum bieten, wo sie mit Gleichgesinnten zusammentreffen können, wo Sie sich Ihre Sorgen, Ihre Enttäuschungen und Ihren Frust frei von der Seele reden können, wo Ihnen jemand vorurteilsfrei zuhört, wo Sie sich geschwisterlich angenommen fühlen dürfen, und wo sich für Sie vielleicht neue Perspektiven eröffnen.

Wir laden Sie ein: zu Zeiten des Austauschs, zu Zeiten der Stille, zu Zeiten für alles Mögliche, vielleicht auch für  Gebet. 

Ihre Sr. Petra Knauer und Sr. Philippa Rath

Ab Januar 2026 treffen wir uns immer am 1. Freitag im Monat um 15.00 Uhr an der Klosterpforte.

Anmeldung bitte direkt bei sr.petra@abtei-st-hildegard.de oder sr.philippa@abtei-st-hildegard.de