Der Gregorianische Choral als Mittel der Verkündigung

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„Euch ist aufgetragen, die Würde, Schönheit und Erhabenheit des Choralgebetes sowohl in der Sprache als auch im Gesang zu bewahren. Es handelt sich nicht nur darum, beim Chorgebet die lateinische Sprache beizubehalten und zu würdigen – das wäre zu wenig -, sondern, dass sie eifrig gepflegt wird, da in der lateinischen Kirche der christliche Kult eine überreiche Quelle und ein gesegneter Reichtum der Gottesverehrung ist, dessen Glanz, Schönheit, natürliche Frische solcher Gebete und Gesänge es zu bewahren gilt.
Es handelt sich ausdrücklich um den Choralgesang – „angenehm durch die Stimme der lobpreisenden Kirche“ (Hl. Augustinus) -, den eure Gründer euch überliefert haben. Diese Art des Choraloffiziums war besonders auch ein Grund dafür, dass eure Klosterfamilien fest standen und sich durch frohen Zuwachs mehrten.“ (Aus einem Brief von Papst Paul VI.: „Sacrificium Laudis“ an die monastischen Klöster über die Pflege des Choralgesangs und der lateinischen Kultsprache)

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Die Praxis in der Abtei St. Hildegard

1. Der Stellenwert des Gregorianischen Chorals in unserer Liturgie
Die älteste musikalische Tradition des Christentums ist der Gregorianische Choral. Die Wurzeln liegen schon in der Frühzeit der Kirche. Das Repertoire ist seit dem 8. Jahrhundert bekannt, obwohl es damals noch keine Notenschrift gab. Aber die Melodien waren dem Gedächtnis der Kantoren anvertraut. Die ersten Notationen sind bereits aus dem 9. Jahrhundert bekannt.
Wie kommt es, dass eine solche Tradition liturgischen Gesangs bis in das 3. Jahrtausend durchgetragen wurde? Es kann nur dadurch sein, dass von Anfang an erkannt wurde: „In diesem Gesang hat sich die zu verkündende Botschaft und unser Glaube… ausgedrückt.“ *

Genau das ist auch der Grund, warum wir Schwestern der Abtei St.Hildegard von den Anfängen unserer Klostergeschichte bis in unsere Tage den Gregorianischen Choral pflegen. Er ist für unser geistliches Leben unentbehrlich, denn er führt uns jeden Tag neu über einen Kulturträger in das Zentrum unseres Glaubens: in die Heilige Schrift. In einer unnachahmlichen Weise gelang es den Komponisten der Frühzeit der Kirche, Wort und Melodie in Einklang zu bringen. Lob und Dank, Bitte und Klage, alle Situationen des menschlichen Lebens dürfen vor Gott getragen werden, ihm entgegengesungen werden.
In einem Psalm formuliert ein Beter es schon so: „Im Angesicht der Engel will ich dir lobsingen.“ (Ps 138,1)
Die Musik insgesamt, aber auch das Singen aus der Herzensmitte heraus gibt uns immer einen kleinen Vorgeschmack des Himmels, des Ortes der Harmonie. Damit ist nicht jeden Tag musikalische Perfektion eingefordert, denn wir alle leben in diesem Leben noch im Wechsel zwischen Harmonie und Disharmonie.
Die Melodien des Gregorianischen Chorals sind jeweils in Einheit zwischen dem Wort Gottes und dem Alltag der Glaubenden entstanden. Singen wir in unseren Tagen diese Gesänge, so lassen wir uns jeweils neu auf Gott, auf sein Wort ein, tragen damit die Anliegen der Welt, alle Freuden, Nöte und Sorgen vor IHN und erfahren in unserem, von der Liturgie getragenen Alltag das Wort des hl. Augustinus: „Cantare amantis est,“ „das Singen ist Sache dessen, der liebt,“ des Gott Liebenden. „Es ist Ausdruck dafür, was das Ziel jeden Gebetes und jeder Meditation ist: die Kontemplation, d. h. reine Hingabe, liebendes Verweilen bei Gott, Vereinigung mit Gott, Auskosten der Gemeinschaft mit Gott, aber auch geduldiges, wortloses Ausharren vor ihm im Leiden.“ Das ist letztlich der Grund, warum wir Schwestern der Abtei St. Hildegard bis zum heutigen Tag unser ganzes Stundengebet und die tägliche Eucharistiefeier im Gregorianischen Choral singen.

2. Die lateinische Liturgiesprache als Bindeglied zur Weltkirche und Zeichen der Einheit
Noch weitere Argumente sprechen aus unserer Sicht für den Gregorianischen Choral. Die lateinische Liturgiesprache hat sich über Jahrtausende bewährt bis zu unseren derzeitigen Erfahrungen. Auch das 2. Vatikanische Konzil wünschte, dass die lateinische Liturgiesprache erhalten bleibt (SC 36). Was könnte diesen Wunsch begründen?
* Die Alltagssprache jeder Zeit ändert sich sehr schnell. Ändern sich die Übersetzungen biblischer Texte, z. B. der Psalmen, in Abständen von einigen Jahren, so prägen sich die Texte nicht ins Herz ein. Die englische und französische Sprache sprechen nicht umsonst beim Auswendiglernen vom „learning by heart“ oder „par coeur“. Was der Mensch auswendig kann, von dem wird er auch inwendig ergriffen; da hat sich etwas in seinem Herzen verinnerlicht. Halten wir im Alltag die lateinische Liturgiesprache lebendig, so prägt sie sich, weil sie unveränderlich ist, im Laufe des Lebens ins tiefste Innerste hinein. Auch hält sie uns in steter Verbundenheit mit der Frühzeit der Kirche, mit den Worten der Kirchenväter, die uns den Glauben überliefert haben. Um diese Verbindung zur Frühzeit der Kirche zu stabilisieren, haben alle Schwestern vom Beginn des Klosterlebens an die Möglichkeit, die lateinische Sprache zu lernen.
* Während der Umbruchszeit vom 2. ins 3. Jahrtausend ist die multikulturelle Gesellschaft herangewachsen. Die Länder des geeinten Europas haben ihre gemeinsamen Wurzeln im christlichen Glauben und in der gemeinsamen Kultur und Sprache. Von daher eint die lateinische Kultsprache die Völker aller Nationen erneut zu einem Volk Gottes im Glauben. Die Einheit der Nationen untereinander, die für uns alle ein erstrebenswertes Ziel ist, zeigt sich jetzt auch mehr und mehr in unserer Abtei. Allein im Noviziat leben derzeit bei uns vier Nationen, insgesamt geht die Spannbreite in der Gemeinschaft nun von Amerika bis Ungarn, von Dänemark bis Kroatien. Da ist es ein Geschenk, dass sich die lateinische Sprache, in der alle Sprachen Europas ihre Quellen haben, bis in unser 3. christliche Jahrtausend gehalten hat.

Auf diese Weise dürfen wir trotz aller kulturellen Verschiedenheiten einstimmig Gott loben.

Sr. Christiane Rath OSB