Fronleichnam

„Da robur, fer auxilium“, „Gib Kraft, bring Hilfe.“ Diese Zeile aus dem lateinischen Laudeshymnus von Fronleichnam ist kein zartes, vorsichtiges Flehen: „Gib mir, gib uns doch bitte Kraft“, sondern viel stärker, ein Befehl, ja ein Schrei: „Da robur! Fer auxilium!“, „Gib Kraft! Bring Hilfe!“

Fronleichnam ist keine fromme Verzierung, kein Fest am Rande, sondern zutiefst existenziell: Der Schrei nach Brot, der Schrei nach Lebenskraft.

Sicher, der Weg zum Himmel ist offen, Heil und Erlösung geschehen, doch auf diesem Weg ist nicht alles leicht, da gibt es Krieg, „Krieg“ in Anführungszeichen in uns, Krieg und Gewalt zwischen den Völkern, der bestanden und überlebt werden will. Da braucht es „Robur“, Robustheit, Kraft und „Auxilium“, Waffenhilfe, das heißt, das Beistehen und Zuhilfekommen eines Stärkeren, Eines, der gerüstet ist, zu bestehen.

Die ganze Strophe heißt:

„O salutaris hostia,              

O heilbringendes Opfer

Quæ cæli pandis ostium,    

das du öffnest das Tor zum Himmel.

Bella premunt hostilia:        

Wo feindlich Kriege bedrängen:    

Da robur, fer auxilium.         

Gib [uns] Kraft, bring [uns] Hilfe!“

Allein diese Worte sind kraftvoll und geben beim Gebet Kraft. Mir ist es vor Jahren passiert, dass ich in den Ferien gelaufen bin und den ganzen Tag die Worte „Da robur, fer auxilium“ vor mich hin gesungen habe. Die Worte haben damals mein Gebet ausgedrückt, obwohl das nicht bewusst geschah. Es ist ein archaisches, existenzielles Gebet: „Da robur! Fer auxilium!“, „Gib Kraft! Bring Hilfe!“ Wenn ich heute in den Nachrichten das Weltgeschehen wahrnehme, dann kommt es mir so aktuell vor, so existenziell wie der Krieg, so existenziell das Gebet um Kraft und Hilfe.

Es ist auch das Gebet des Volkes unterwegs. Ein Gebet Schritt für Schritt, für lange Wege. Für den langen, gewundenen und vielleicht Umwege umfassenden Lebensweg, der gestärkt wird von Gottes Speise und Segen. Die Fronleichnamsprozession ist ein Zeichen dafür, dass wir nicht im Gewohnten stehen bleiben wollen, sondern dass wir im Glauben wandern, wandeln, uns verändern. Uns Schritt für Schritt neu verorten.

Noch eine andere Strophe, aus dem Hymnus der Matutin, betont die Bewegung:

„Sacris solemniis iuncta sint gaudia,

Den heiligen Feiern sei verbunden die Freude

Et ex præcordiis sonent præconia;

und aus den Herzen mögen erschallen die Lobpreisungen!

Recedant vetera, nova sint omnia,

Altes weiche zurück, alles sei neu:

Corda, voces et opera,

Herzen, Stimmen und Werke.“

Bleibe nicht stehen! Alles sei heute neu!

Sicher ist der Festinhalt die Nachfeier des Gründonnerstags, weil die Freude über das festliche Mahl sich in der Karwoche nicht genug ausdrücken konnte. Aber das Mahl ist nur der Ausgangspunkt für den Weg. Gefeiert wir nicht der Tisch, sondern die Wegzehr, der Proviant. In der Sequenz singen wir:

„Ecce panis Angelorum,    

                        Seht, das Brot der Engel,

              Factus cibus viatorum,      

                        es ist Speise der Wanderer geworden.“

Es stärkt auf dem Weg, es bringt Kraft und Hilfe. Wie es auch im „Panis angelicus“, im Hymnus der Matutin heißt:

              „Panis angelicus fit panis hominum;       

                        Engelsbrot wird Brot für die Menschen;

              Dat panis cœlicus figuris terminum;        

                        Himmelsbrot gibt den Gestalten ein Ziel.“

– Gibt unserem Suchen ein Ziel.

Schließen möchte ich mit der Schlussstrophe des Matutinhymnus:

   „Te, trina Deitas unaque, poscimus:

                        Dich, dreifaltige und eine Gottheit, bitten wir:

              Sic nos tu vísita, sicut te cólimus;

                        Besuche du uns so, wie wir dich verehren.

              Per tuas semitas duc nos quo tendimus,

                        Auf deinen Wegen führ uns, wohin wir streben,

              Ad lucem, quam inhabitas,

                        zum Licht, in dem du wohnst. Amen.“

 

Text: Sr Klara Antons OSB

Bild: Ausschnitt aus dem Evangeliarbild für Fronleichnam von Sr. Josepha Knips OSB, um 1930.

„Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen!“ Mit dem heutigen Fest beginnt die Zeit des Abnehmens. Die Tage werden kürzer und kürzer, bis dann ab Weihnachten, der Wintersonnenwende, das Licht, Christus, wieder wächst. Die auf Johannes veranstalteten volkstümlichen Sonnwendfeuer, bei denen auch Küchenreste und Gerümpel aller Art verbrannt wurden, sagen ein gleiches: „Ihr werdet das Alte wegwerfen, wenn das neue kommt.“ (Lev 26,10)

Eine Zeit des Abnehmens und Sterbens, der Bedrängnis auch nach dem Zeugnis des Martyrologiums: Die Feste der Martyrer der Urkirche liegen alle in der Zeit vom 24. Juni (64) bis 25. Dezember (303). In der Kirche, in der Liturgie und ihren Bräuchen inkarniert sich das Geheimnis: wir müssen das Abnehmen spüren, sehen (- das Nachlassen des Lichtes, das Sterben der Zeugen), damit wir wirklich mit unserem ganzen Sein, Christus, das Leben, erwarten.

Johannes sagt das auf anderer Ebene noch einmal: „Ich bin die Stimme, er ist das Wort.“ Ich bin die Hülle, er ist der Inhalt, das Wesen der Verkündigung. Um dieses Bild der Stimme, Stimme des Rufenden in der Wüste, ranken dann auch die Texte des Festes. Und auch hier zur Verdeutlichung um das Gegenteil: die Stummheit. Der Unglaube des Zacharias führt zur Stummheit, die Geburt des Johannes öffnet seinen Mund wieder – es ist jetzt die Zeit des Zeugnisses. Jetzt in dieser Zeit geschieht es: bereitet dem Herrn den Weg.

Der wichtigste Text des Propriums ist wohl der Hymnus Ut quéant laxis. So wie das Datum des 24. Juni ein zentrales für die Liturgiegeschichte ist, ist dieser Hymnus zentral für die Musikgeschichte, seit Guido von Arezzo (†1050) vor ungefähr tausend Jahren die Töne in aufsteigender diatonischer Folge nach den jeweils ersten Silben der einzelnen Halbverse der ersten Strophe benannte.[1] Dieser, die Musik so prägende Text heißt übertragen: Dass unsre Stimmen frei und hell erklingen / von deines Lebens Wundertaten singen / löse die Fesseln unsrer stummen Zungen, / heilger Johannes. Zeit des Zeugnisses – auch unsere Stimme ist gefragt – Johannes löse die Fesseln. Paul Diakon, ein Mönch von Monte Cassino hat diesen Hymnus im 8. Jh. verfasst. Die Legende erzählt, er sei auserwählt worden, das Exsultet zu verkünden, und merkte dann plötzlich, dass seine Stimme völlig versagte. So rief er den heiligen Johannes um Hilfe an, der seine Stimme heilte und zum Dank verfasste er den heutigen Hymnus.

Der lateinische Matutinhymnus wiederholt das Motiv, indem er singt: … dass nicht die Tugend scheitere an den Klippen strafbarer Lippen. Es ist für die Entwicklung der Welt notwendig, die Dinge beim Namen zu nennen. Seien es der Name des Johannes, die Namen der Töne, die Phänomene unserer Zeit.

Johannesgestalten zu werden, lädt das Fest uns ein. Stimme eines Rufers in der Wüste unserer Zeit: „Bereitet dem Herrn den Weg.“ Keine Posaune, sondern sacht und anklopfend wie das „parare vias eius“ in der Communio. Das Beitragsbild zeigt die Melodie…

 

Text: Sr. Klara Antons OSB

[1] Der fehlende Ton, das si (aus Sancte Johannes) wurde 1482 von Bartolomeo Ramis de Pareja eingeführt.

Ich und der Vater sind eins.“ (Joh 10, 30)
Mit anderen Worten, Jesus sagt: Gott und ich, wir sind ein Herz und eine Seele. Und es ist für uns gleich ob wir sagen „Mein Gott“ oder „Mein Herr Jesus“ – dahinter steht ein Herz voll Liebe für uns.
Das große Christusbild hier in unserer Kirche zeigt uns diese Offenheit. Kurz vor Beginn der Ausmalung dieses Gotteshauses hatte Papst Leo XIII 1899 die Welt dem Herzen Jesu geweiht. Sollte man nun nicht mit der angesagten Andachtsform mitgehen und den geplanten Christus mit einem großen, von Liebe strahlenden Herzen malen? Man entschied sich dagegen – nicht die moderne Form wurde gewählt, sondern eine zeitlose, bleibend gültige: Christus, Mensch und Gott, mit offenen, einladenden Händen. Wie man ja auch von einem guten Menschen sagt: Er trägt sein Herz in der Hand. Sein Tun offenbart, wie es in seinem Herzen aussieht.
Ursprünglich hatte aber das Untergewand des Christus eine Art Knopfleiste in der Mitte, deren unteres Ende vierpassförmig verbreitert war. Genau an der Stelle, wo die Darstellung des Herzens Jesu zu erwarten gewesen wäre. Wer es wollte, konnte das Herz Jesu darin sehen.
Wer es will, kann es auch heute noch sehen – das verwundete Herz Gottes, das uns zur Liebe, zur Barmherzigkeit ruft.
Denn wenn auch Barmherzigkeit ein sperriger Begriff ist, der nicht mehr unserer Alltagssprache angehört – inhaltlich ist die Rede vom Herzen, auch die vom Herzen Gottes nicht leer geworden. Als bei den Anschlägen in Paris 2015 ein junger Familienvater seine Frau und das kleine Kind die Mutter verlor, schrieb er, was um die Welt ging: „Ihr bekommt meinen Hass nicht!“ Bemerkenswert ist aber auch wie dieser Text weitergeht: „Wenn dieser Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Bild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die meine Frau getroffen hat, ein Wunde in sein Herz gerissen haben.“ Die Rede vom Herzen Gottes ist nicht tot. Und sie ist nicht eng.
Teilhard de Chardin erkennt genau das vor einem Herz-Jesu-Bild und betet: „So wird in plötzlicher Umkehrung sichtbar, dass Du, Jesus, durch die Offenbarung Deines Herzens unserer Liebe vor allem das Mittel geben wolltest, dem zu entkommen, was allzu eng, allzu scharf umrissen, allzu begrenzt an dem Bild war, das wir uns von Dir machten. Im Zentrum Deiner Brust bemerke ich nichts anderes als einen Glutofen; und je mehr ich dieses brennende Feuer ansehe, um so mehr scheint es mir, dass überall um es herum die Umrisse Deines Leibes zerschmelzen, dass sie über alles Maß hinaus größer werden, bis ich in Dir keine anderen Züge mehr erkenne als die Gestalt einer entflammten Welt.
Und weiter betet er: „Du, Der Du das Viele knetest, um ihm Dein Leben einzuhauchen, senke, ich bitte Dich, auf uns Deine mächtigen Hände, Deine zuvorkommenden Hände, Deine allgegenwärtigen Hände herab, diese Hände, die nicht hier oder dort berühren (wie es eine menschliche Hand tun würde), die vielmehr in die Tiefe sich hineinbegeben und uns gleichzeitig durch all das erreichen, was es in uns und um uns herum gibt. Bereite mit diesen unsichtbaren Händen zu dem großen Werk das irdische Bemühen, das ich Dir in diesem Augenblick darbringe.
Mag sich die bildliche Darstellungsweise des Herzens Jesu überlebt haben, der Inhalt ist aktuell. Wir suchen in unserer Welt nach Liebe, nach Barmherzigkeit, nach Wärme. Diese Liebe wird wachsen, wenn wir mehr lieben. Um uns herum wird es wärmer werden, wenn wir ein offenes Herz und ein offenes Ohr haben.
Wenn wir in die Worte des Evangeliums, in die Worte Jesu hineinwachsen: Ich und der Vater sind eins. Und dann beten: „Jesus, bilde unser Herz nach deinem Herzen.“ oder: „Jesus, bilde unsere Hände nach deinen Händen.

Text: Sr. Klara Antons OSB
Bild: Aquarellentwurf für die Ausmalung der Abteikirche von. P. Paulus Krebs

Einleitende Gedanken zu den Ich-Bin-Worten

Sobald ein Kind sagen kann: “Ich bin Paula…“, hat es einen entscheidenden Entwicklungsschritt in seinem Leben getan. Es hat erkannt, dass es eine eigenständige Person ist, ein ICH, unterschieden vom DU, das ihm gegenübersteht. Die auf den ersten Blick so unscheinbare Existenzaussage „Ich bin“ berührt den Mittelpunkt menschlichen Begegnens. Jede Begegnung mit einem Unbekannten zielt zunächst auf die direkte oder indirekte Frage: Wer bist Du? Wie bist Du? Das Sein des anderen, sein Ich, wird über die Entwicklung der Begegnung ebenso entscheiden, wie die Art und Weise der Begegnung. Viele Mosaiksteinchen sind es, die die Formel „Ich bin“ inhaltlich füllen und mitteilbar machen. Menschen mühen sich seit jeher darum, denn vom Kontakt mit anderen, von der Begegnung leben wir. Kein Mensch mit seinem individuellen „Ich“ bleibt in einer Gemeinschaft ohne Wirkung, er prägt und gestaltet sie mit, jedes Ich bekommt in der Gemeinschaft eine zusätzliche Dimension. Dabei ersehnen wir Begegnungen bestimmter Art, andere meiden wir lieber. Jede Begegnung hat Konsequenzen unterschiedlicher Tragweite. Die einen verblassen nach einiger Zeit, andere prägen Menschen und Kulturen. So ist die Erkenntnis und der Austausch des „Ich bin“ von Menschen für das Gelingen menschlichen Lebens unabdingbar. Für uns Christen stellt sich darüber hinaus die Frage: „Gott – wer ist das? Wie ist er – auch: Ist ER? Sagt auch er von sich „Ich bin …“, damit Begegnung mit ihm stattfinden kann?

Das Alte Testament beantwortet diese Frage im Buch Exodus. EX 3,14: „Der brennende Dornbusch“. Gott offenbart sich Mose als der ICH-BIN-DA. Gottes Wesen ist es, da zu sein. Er ist der Seiende schlechthin und als dieser ist er auch für uns Menschen da. Durch diese Selbstoffenbarung wird es Mose möglich zu sagen, wer ihn gesandt hat. Erst durch die Offenbarung wird Gott „mitteilbar“. Alle weiteren Beschreibungen und Bilder für Gott in der Bibel (Wasser, Licht, Brot, Guter Hirte …) zeigen auf, dass es einen einzigen Gott gibt und wie er sich zur Welt verhält. Die verwendeten Bilder sind ein Versuch, etwas von Gottes Wesen zu offenbaren, auf die Frage nach dem Wer bist DU? zu antworten. Allen Bildern zu eigen ist, dass sie nur ein Bruchstück vom Wesen Gottes aufzeigen. Gott ist so, aber er ist zugleich auch der ganz andere, der Fremde und Unfassbare.

In der Person Jesu findet die Selbstoffenbarung Gottes als der ICH-BIN-DA und die Erwartung der Menschen auf das Kommen des verheißenen Retters ihre Vollendung. Gott kommt den Menschen in Jesus Christus in einer Art und Weise nahe, die nicht zu überbieten ist. Er wird Mensch, einer von uns. Dies erlebten die ersten Christen in der direkten Begegnung mit Christus, dies können auch wir heute erfahren: in der Begegnung mit Menschen, aus der Beschäftigung mit der Heiluigen Schrift.

Die sieben Ich-Bin-Worte im Johannesevangelium, um die es heute geht, wollen in besonderer Weise deutlich machen, wer und wie Gott zu uns Menschen ist. Bei Johannes geht es um eine Identifizierung Jesu Christi mit dem Inhalt des jeweiligen Bildes, nicht um ein bloßes Gleichnis für Christus. Der Inhalt ist bei allen Bildern derselbe: Das Leben und die Frage an jeden einzelnen: Wer ist Gott für dich! Das Ich-bin gibt dafür Glauben und Vertrauen. Wer erkannt hat, wer Jesus und wer damit Gott ist und für ihn ist, wie nah Gott uns ist und wie sehr er sich um uns sorgt, der muss diese Erkenntnis verlebendigen, in sein Leben umsetzen und andere daran teilhaben lassen.

Die Bilder stammen alle aus dem Alltagsleben Jesu und waren für die Menschen seiner Zeit eingängig und verständlich. Für uns heute sind einige verständlich, andere dagegen fremd, oder ihre Aussagkraft hat sich verändert. Gemeinsam ist den sieben Ich-bin-Worten ihr Aufbau: auf die Selbstvorstellung „Ich bin …“ (Ich bin der Weinstock) folgt die Konsequenz, d.h. eine Aufforderung zum Tun – Wer in mir bleibt. Diese mündet dann ein in eine Verheißung: bringt reiche Frucht.

Das Bild des Weinstocks ist sicherlich den meisten von uns fremd. Wer kennt sich schon im Weinbau aus, hat schon einmal einen Weinstock gesehen, weiß, welche Arbeit und Mühe für die Pflege eines Weinberges notwendig ist. Und doch verbindet jeder bestimmte Gedanken und Vorstellungen damit, wenn er dieses Wort hört. Wer schon einmal selbst im Weinberg gearbeitet hat, wird dieses Bild plötzlich ganz neu verstehen. Für mich, die ich bis zu meinem Klostereintritt nie etwas mit Weinbau zu tun hatte, begann das Weinstockbild sehr lebendig zu werden, als ich die verschiedenen Arbeiten zum ersten Mal selbst gemacht habe. Ich möchte Ihnen nun aus meinen eigenen Erfahrungen etwas über die Arbeiten im Weinberg erzählen.

Das Bild des Weinstocks und Weinbergs ist in der Bibel ein sehr wichtiges und zentrales. Es sind nicht wenige Stellen, gerade im Alten Testament, die davon sprechen. Nimmt man alle Wörter, die mit Wein zu tun haben, kommt man auf 513 Stellen, allein der Begriff Wein kommt 54 mal vor.

Was ich ihnen über die Weinbergsarbeit erzähle, beruht auf dem heutigen Stand. Vieles hat sich seit der Zeit Jesu leicht verändert.

Der Weinstock ist eine Kletterpflanze, die nach Möglichkeit ein Spalier oder eine andere Vorrichtung braucht, an der sie hochklettern kann. So pflanzte man zurzeit Jesu oft einen Feigenbaum und eine Rebe nebeneinander (1Kön: … und jeder saß unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum, solange Salomo lebte). Die Rebe besteht aus mehreren Teilen: Die Wurzeln, die den Rebstock mit Wasser versorgen, reichen oft metertief in die Erde. Auch in trockenen Gebieten oder in sehr trockenen Jahren, kann die Rebe somit gut überleben. Der Rebstamm, der 30-40 Jahre, sogar bis zu 80 Jahre alt werden kann, besteht aus sehr hartem Holz. An ihm wachsen die Reben, die dann die Trauben tragen.

Wird ein neuer Weinberg angelegt, muss zuerst der Boden bereitet werden. Die Fläche liegt ein, zwei Jahre brach. Dann wird die Fläche umgegraben, neue Erde aufgeschüttet, Steine entfernt und das Ganze fein säuberlich geebnet. Jeder Weinstock erhält den gleichen Standraum, genügend Platz, damit er alles Notwendige in ausreichendem Masse hat. (Jer 2,21: … ich aber hatte dich als Edelrebe gepflanzt, als gutes, edles Gewächs; Ez 17, 8: … er war doch auf guten Boden gepflanzt, an reichlich fließendem Wasser, um Zweige zu treiben und Früchte zu tragen und ein herrlicher Weinstock zu werden).

Ein Jungfeld braucht viel Pflege: Stöcke gießen, Unkraut hacken, Boden lockern. Die dünnen Stämmchen bindet man an Stützpfählen an, damit sie gerade wachsen und bei Sturm und Unwetter nicht abknicken. Alle Triebe, die am jungen Stock wachsen, werden bis auf zwei entfernt. Der Stock soll sich darauf konzentrieren, einen geraden, kräftigen Stamm zu bilden; Frucht zu bringen, ist erst später seine Aufgabe. Aus Holzpfählen und Draht wird eine Unterstützungsvorrichtung angelegt, die den Reben Halt bietet. Drei Jahre lässt man dem jungen Stock Zeit, sorgt sich um jeden Stock einzeln. Manche Winzer reden mit ihren Weinstöcken, damit sie gut gedeihen … (Ez 17,6: … und er wuchs heran und wurde zum üppigen Weinstock. Erst dann trägt er das erste Mal. Er darf aber nicht zu viele Trauben tragen, damit er seine Kraft für viele Jahre einteilt, überflüssige schneidet man ab.

Zurzeit Jesu war es oft üblich, den Weinberg mit einer Mauer zu umgeben, damit Tiere nicht die Früchte fraßen, aber auch, um vor Diebstahl der Trauben sicher zu sein. Zur Bewachung wurde eine Hütte oder gar ein Wachturm gebaut, in den zur Zeit der Traubenreife der Winzer zog und so seinen Weinberg bis zur Lese bewachte. Heute ist dies nicht mehr üblich.

Hat man nun alle Mühe und Sorgfalt bei der Pflanzung eines Weinberges angewandt, kann man sich nicht zur Ruhe setzen, vielmehr wiederholen sich Jahr für Jahr viele notwendige Arbeiten damit der Weinberg seinen Ertrag bringt (PS 80,5: … sorge für diesen Weinstock).

Im Winter, wenn die Reben ruhen, beginnt das Schneiden der Reben. Ohne beschneiden, würde der Rebstock wild wuchern und keine Trauben tragen. Bis auf einen Rebzweig, der ausgewählt wird, um die Frucht zu tragen, werden alle anderen abgeschnitten. Nach dem Schneiden erfolgt das sogenannte Ausheben. Alle übrigen Rebzweige müssen aus dem Stützdraht herausgezogen werden, damit die neuen Triebe Platz und Halt bekommen. Dies geschieht von Hand. Dafür braucht man oft Kraft und eine Schere, denn die Rebzweige klammern sich fest an den Draht. Die trockenen Rebzweige werden gesammelt, aus dem Weinberg herausgetragen und verbrannt. Das Holz ist zu nichts anderem zu gebrauchen.

Beginnt der Fruchtsaft in die Rebzweige zu steigen, geht der Winzer zum Gerten in die Weinberge. Die Fruchtrute wird um einen der Drähte gebogen und festgebunden. Sinn dieser Arbeit ist es, die wachsende Rebe in eine Form zu bringen. Diese erleichtert es später die Trauben zu ernten und während des Jahres notwendige Arbeiten schneller zu erledigen. Wieder wendet sich der Winzer jedem einzelnen Weinstock zu. Er muss die Fruchtruten vorsichtig biegen, denn sie brechen schnell ab. Mitte bis Ende April beginnen die Reben auszutreiben. Tag für Tag kann man ihnen beim Wachsen zu schauen (Jes 24,17: Wie ein Weinstock trieb ich schöne Ranken, meine Blüten wurden zu prächtiger und reicher Frucht). Ca. 2-4 Wochen nach dem Austrieb beginnt das Ausbrechen. Man wundert sich, wie aus dem so tot wirkenden alten Stammholz, junge grüne Triebe wachsen können. Diese müssen entfernt werden, der Stock soll seine Energie nicht verschwenden, sondern in die Fruchtruten konzentrieren. Auch würde der Rebstock zu einem üppigen Strauch verkommen, an dem keine oder nur ganz kleine Trauben zu finden wären. Die Triebe werden von Hand entfernt. Da diese Arbeit nur in gebückter Haltung gemacht werden kann, ist sie gerade an heißen Tagen sehr anstrengend.

Sind die Triebe ca. 50 cm lang, werden sie geheftet. Die jungen Triebe werden von Hand in den Drahtrahmen eingesteckt. Zwei bis dreimal geht man durch die Weinberge, um den jungen Trieben durch das Einstecken Halt zu geben, denn gerade die grünen Triebe sind sehr empfindlich. Täte man dies nicht, würden sie bei Wind oder starkem Regen einfach abbrechen. Diese Arbeit ist zeitaufwendig, muss aber schnell geschehen, da zu dieser Jahreszeit plötzlich auftretende Gewitter einen ganzen Weinberg zerstören können (PS 78,47: … ihre Reben zerschlug er mit Hagel).

Im Sommer dann ist der einzelne Weinstock kaum vom anderen zu unterscheiden. Die Reben bilden eine grüne Laubwand, in der jeder Stock untergeht. Dieses Laub muss mehrfach geschnitten werden, damit die Rebe ihre Kräfte zur Ausbildung der Trauben gebraucht und nicht für ein unendliches Längenwachstum der Triebe. Der Winzer muss regelmäßig seine Weinberge mit wachen Augen kontrollieren, damit nicht Pilzbefall, Schädlinge oder Nährstoffmangel die Arbeit zu Nichte machen. Immer wieder muss der Boden aufgelockert, die Begrünung zwischen den Zeilen geschnitten, das Unkraut zwischen und unter den Stöcken kurz gehalten werden.

Dann blühen die Reben (Hld 2,13: … die blühenden Reben duften). Es ist eine risikoreiche Zeit, denn starker Regen oder Hagel gefährden die Blüte. Die Rebblüte selbst ist eigentlich unscheinbar, aber sie verbreitet einen feinen, intensiv süßlichen Duft ganz eigener Art. Nach der Blüte lässt sich das weitere Wachsen der Trauben gut verfolgen (Weish 51,15: … und wie nach dem Blühen die Trauben reifen). Haben die Beeren eine solch prächtige, geschlossene Traube gebildet, braucht es Sonne und trockenes Wetter, damit genügend Zucker in den Beeren entsteht. Das Wetter spielt eine wichtige Rolle, der richtige Lesezeitpunkt eine weitere. Er muss mit Glück und einem guten Blick auf die Qualität der Trauben gefunden werden. (Jes 62,9: Schick deine scharfe Sichel aus, und ernte die Trauben vom Weinstock der Erde; wer den Wein geerntet hat, soll ihn auch trinken). Jede Traube wird von Hand abgeschnitten, in einen Leseeimer geworfen. Dann kommt sie in den Legel und wird aus dem Weinberg getragen, dann auf den Traubenwagen geschüttet. Zu Hause wird der Wein gekeltert. Nach der Kelterung reift der Wein langsam heran und bedarf der ständigen Kontrolle und Umsorgung. Heute wird vermehrt maschinell gelesen. Die Arbeit der Lese und die damit verbundene Freude über die heimgebrachte Ernte, verliert ihren gemeinschaftlichen Charakter, gleichzeitig auch die Erfahrung, wie schwer es sein kann, in Kälte oder gar bei Regen zu lesen. Bei uns im Kloster ist die Lese, zu der immer viele Helfer und Freunde kommen, auch eine Art Fest. Es ist schön, die Ernte gemeinsam einzuholen und so die Mühe eines Jahres zu vollenden.

Der Weinstock hat nun seine Hauptaufgabe erfüllt. Die herbstlichen Tage mit Sonne und Wärme nutzt er, um Energien für den Winter im Holz einzuspeichern und für das nächste Jahr gerüstet zu sein. Langsam fällt der Fruchtsaft wieder, die Blätter fallen und bald schon kann der Winzer den Rebstock aufs Neue beschneiden, damit er im nächsten Jahr wieder reiche Frucht bringen kann.

 

Bibelarbeit zu Joh 15, 1-8

Fragen als Anregung, sich mit dem Text intensiver zu beschäftigen:

– Welche Verben werden genannt, von welchen Tätigkeiten wird gesprochen? (abschneiden, reinigen, wegwerfen, verbrennen, in ihm bleiben, Frucht bringen)

– Womit könnte ich sie in meinem/unserem Leben vergleichen, was bedeuten sie für mich?

– Was sagt mir das Bild des Weinstocks, des Weinberges? Wer ist Gott als Vater Jesu Christi für mich / für uns?

– Was wird über Christus gesagt und das Verhältnis zu seinen Jüngern?

– Wer ist Christus für mich im Hinblick auf das Bild des Weinstockes: hänge ich wirklich an ihm, bleibe ich in ihm? Wie sieht das konkret im Alltag aus?

– Stichwort bleiben: Was bedeutet dieses „Bleibt in mir“? Wie sieht das in meinem Leben aus? Wodurch geschieht Trennung von Christus?

– Versuchen Sie in einem Satz zusammenzufassen, worin für Sie die Hauptaussage des Textes besteht.

Stichworte für mich selbst:

  • Jesus allein ist der Erlöser gegenüber den vielen falschen Erlösergestalten, die nur vorgeben, es zu sein;
  • nur in Jesus selbst ist all das zu finden, was dem Menschen das Leben ermöglicht;
  • es geht um den Ursprung des Lebens schlechthin, der im Orient im Baum bzw. Weinstock als Urbild sichtbar und anschaulich wurde;
  • Gott allein ist der Winzer, er kontrolliert Wachstum und Fruchtbringen;
  • Fruchtbringen ist nicht aus eigener Kraft möglich, sondern nur in Verbundenheit mit Christus; Jesus als tragender Grund für ein fruchtbares Leben;
  • aus der geschenkten Gemeinschaft mit Christus erwächst eine Verpflichtung;
  • Wachstum, d.h. ein mehr an Glauben, ist mit Reinigen verbunden; Stillstand bedeutet abgeschnitten werden;
  • Mahnung zum Bleiben nicht als mystische Versenkung gemeint, sondern im Leben fruchtbar zu werden für … d. h. leben in Gemeinschaft mit Christus.

Von Sr. Thekla Baumgart OSB

 

 

In der Heiligen Schrift begegnen uns an vielen Stellen – im Alten und im Neuen Testament – sog. ICH-BIN-Worte Gottes oder Jesu. Allein im Johannes-Evangelium finden wir 26 Mal solch ein Ich-bin-Wort aus dem Mund Jesu. Und oft ist dieses Ich bin verbunden mit einem Bild, mit einem zumeist ganz einfachen, urtümlichen und selbstverständlichen Bild. Wir kennen sie alle, diese ‚Ich bin-Worte‘: Ich bin die Tür, der Weg, das Brot, der Hirt. In diesen Ich bin-Worten steckt Dreierlei: Da geschieht zunächst einmal Offenbarung und Selbstoffenbarung. Jesus sagt in diesen Bildern etwas von sich, wer er ist. Aber das ist nicht einfach nur eine Information – nach dem Motto: wir fragen, bekommen Antwort und sind hinterher schlauer als zuvor.

Nein, das, was Jesus von sich sagt, das geht noch weiter, das geht uns direkt und ganz persönlich an. Und darum steckt in diesen Worten neben der Selbstoffenbarung zum zweiten immer auch eine Einladung an uns: Wie stehe ich zu dem, was Jesus mir da von sich sagt? Was bedeuten diese Bilder für mein Verständnis und mein Verhältnis zu Jesus Christus. Wie ist mein Gottes-verständnis durch diese Bilder geprägt? Das wäre die zweite Ebene. Und drittens schließlich enthalten diese Ich-bin-Worte auch eine Verheißung und Berufung und damit ein Stück Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Wer bin ich und was soll ich eigentlich?

Jedem einzelnen von uns sind diese Ich-bin-Worte ganz persönlich zugesprochen. Wir sollen sie uns zu Eigen machen. Ich persönlich bin das Brot, die Tür, der Weg, der Hirt oder die Hirtin. Es könnte also spannend sein, den Ich-bin-Worten einmal nachzugehen, sie in mir, in uns, in meinem und in unseren Leben konkret Wirklichkeit werden zu lassen.

Versuchen wir es jetzt einmal bei einigen ausgewählten Ich-bin-Worten :

Ich bin … das Alpha und das Omega

Gott ist der Urgrund allen Seins und das Ziel der ganzen Schöpfung. Er hält unser Leben umfangen – vom Anfang bis zum Ende. Das ist eine tröstliche Gewissheit, gerade in schweren Zeiten, zugleich aber auch eine Heraus-forderung an unseren Glauben. Glauben wir wirklich daran, dass er, Gott allein, das Alpha und das Omega ist, dass er den Anfang setzt und auch das Ende bestimmt? Wie steht es mit meiner Bereitschaft, Gott als den Herrn meines Lebens und der Geschichte anzuerkennen und nicht selbst über alles bestimmen zu wollen? Bin ich bereit, mich einzusetzen für die in Gott begründete Würde des Menschen – vom ersten bis zum letzten Atemzug?

Ich bin … der Ich-bin-da

Welch‘ ein Name ist das. Ich bin der Ich-bin-da. Gott ist immer und überall gegenwärtig. Er ist da, wo immer ich auch bin. Er ist über mir, er ist unter mir und er ist neben mir. Er steht hinter mir, er begleitet mich und geht mir voraus. In allen Begebenheiten meines Lebens, in allen Begegnungen und Widerfahrnissen spricht er mich an. Wenn wir daran wirklich glauben, dann eröffnen sich neue Horizonte und neue Perspektiven. Dann lernen wir unser Leben als ein von ihm geführtes ganz neu kennen und lieben. Dann werden wir dankbare Menschen und können auch unbegreifliche Wege und uns fremd erscheinende andere Menschen annehmen. Denn der Ich-bin-da spiegelt sich in jedem Antlitz und in allem, was geschieht.

Ich bin … das Licht der Welt

Licht spendet Leben. Ohne das Licht, ohne die Sonne, würde kein Leben wachsen und reifen. Ohne das Licht können wir weder mit unseren äußeren Augen sehen noch mit unserem inneren Auge verstehen und begreifen. Denken wir an die Blindenheilungen in der Bibel. Jesus öffnet den Blinden die Augen im doppelten Sinn. Sie können wieder sehen und sie erkennen in Jesus Christus den menschgewordenen Sohn Gottes und folgen ihm nach. Mit wie viel Blindheit sind auch wir oftmals geschlagen. Nicht selten müssen wir ganz neu sehen lernen. Menschen und Ereignisse erscheinen dann in ganz neuem Licht. Ihr seid das Licht der Welt. Wenn wir uns das gesagt sein lassen, dann verändert sich unsere Sichtweise, dann wird die Welt in uns und um uns herum heller und neu.

Ich bin … der Weg

Gegen dieses Wort könnten wir innerlich rebellieren wollen. Wir wollen ja eigentlich nicht in Abhängigkeit geraten, uns manchmal lieber verlaufen, als dass wir uns von einem anderen den Weg weisen lassen. Vom Weg reden, heißt immer auch von Bewegung sprechen. Wer sich auf den Weg macht, der gerät in Bewegung, der bleibt nicht, wo er ist, und der bleibt auch meist nicht, wie er ist. Das kann Angst machen, unbequem sein und mühsam. Andererseits gilt aber auch: wer sich nicht auf den Weg macht, kommt nicht weiter – innerlich und äußerlich. Ich bin der Weg. Niemand kommt zum Vater außer durch mich, so hat Jesus uns gesagt. Jesus macht es uns dabei nicht leicht. Er verspricht uns nicht einen geraden und einfachen Weg, einen Weg ohne Umwege, Kreuzungen, Gabelungen, Seitenwege und Stolpersteine. Aber er sagt uns zu: wenn wir IHM und unserer Sehnsucht folgen, den Weg unseres Lebens – wie immer er auch sein mag – unter die Füße nehmen, dann finden wir Gott. Dann finden wir auch uns selbst und den Sinn unseres Lebens.

Ich bin … die Tür

Jeden Tag gehen wir durch ungezählte Türen. Türen sind etwas Selbstverständ-liches und zugleich Denkwürdiges, ja Merkwürdiges. Sie sind im wahrsten Sinn des Wortes ein Zwischending. Weder ist da einfach eine Mauer, noch ist da einfach ein grenzen- und schrankenloser Übergang. Diese eine Stelle, nämlich die Tür, ist es, die uns den Durchlass gewährt. Türen ermöglichen allerdings das Hindurchgehen in zwei Richtungen: hinaus aus dem Raum, dem Haus, dem Gehäuse, aus der Enge und Begrenztheit ins Freie und in die Weite. Oder umge-kehrt:  aus der Weite, aus der Zerfahrenheit auch, aus dem Herumschweifen in die Begrenzung, Überschaubarkeit und Geborgenheit. Es kommt darauf an, dass wir beide Richtungen kennen- und unterscheiden lernen. Manche Komödie und manche Tragödie unseres Lebens entsteht nämlich aus der Verwechselung der Richtungen: dass wir hinausstürmen und meinen, es geht ins Freie, und setzen dabei die Geborgenheit aufs Spiel; oder dass wir hineindrängen, weil wir es draußen in der Freiheit nicht aushalten, und damit zurückkehren in die Enge und damit die Weite aufs Spiel setzen. Ich bin die Tür, sagt uns Jesus. Und ich denke, dass er für beide Richtungen gleichermaßen steht. Aber eines sagt er uns eben auch: „Wählt die schmale Tür“, die „enge Pforte“.  Das breite Portal wäre uns sicher oft viel lieber. Und er sagt uns auch: Ihr seid die Tür: Öffnet die Türen eures Herzens, eures Denkens und eures Tuns für Neues, für Unerwartetes, für die anderen und auch für Gott, den oft ganz anderen.

Ich bin … der wahre Weinstock

Jesus sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige“ sagt. Andererseits heißt es in der Heiligen Schrift: „Ich bin der Weinstock und der Vater ist der Winzer.“ Da ist also die Rede von einem Beziehungsgeflecht. In diesem ist Jesus der Mittler zwischen Gott und den Menschen. Indem Jesus uns als die Rebzweige bezeichnet, ist gleich mit gesagt, dass es um Fruchtbarkeit geht, und dass die Voraussetzung dieser Fruchtbarkeit das Bleiben ist. „Wer in mir bleibt, der bringt reiche Frucht.“ Bleiben, um Frucht zu bringen – das ist die Lebensaufgabe, die Gott jedem von uns zugedacht hat. Nur wer bleibt, kann wachsen, und nur wenn wir wachsen, erfüllt sich das Bleiben – nämlich im Fruchtbringen. Es gibt Menschen, die sich viel mühen und viel arbeiten, aber ihre Arbeit bringt nur wenig Frucht. Sie drehen sich oft nur um sich selbst – beziehungslos, ohne Ziel und ohne Sinn. Und wenn’s schwierig wird, dann ergreifen sie auf die eine oder andere Weise die Flucht. Standhalten im Leben, mit allem, was es gibt und was es bringt –  in der Hoffnung, dass wir an allem wachsen und reifen können. Das wäre eine Lebensaufgabe. Das ganze Abenteuer des Wachstums ist darauf angewiesen, dass wir mit Ihm, mit Christus, verbunden bleiben, dass wir mit ihm rechnen, immer und überall, dass wir mit ihm in Beziehung bleiben – in guten und in schweren Zeiten: „Ohne mich könnt ihr nichts vollbringen.“

Ich bin … das Brot

Brot gehört zu unseren Grundnahrungsmitteln. Es ist uns tägliche Nahrung und nährt uns ganz elementar. Lassen wir einmal vor unserem geistigen Auge den Prozess des Brotwerdens und Brotbackens Revue passieren. Dieser Prozess trägt Züge einer Leidensgeschichte. Alles beginnt mit dem Weizenkorn, das in die Erde fallen und sterben muss. Nach der Ernte müssen die Körner gemahlen werden. Die Körner werden aufgerieben, zermalmt, kurz und klein gemacht. Das Mehl für sich wiederum ist nicht genießbar und noch kein Brot. Was jetzt noch fehlt, sieht wieder schlimm und schmerzlich aus: die Glut des Ofens, in dem das Brot gebacken wird. Die Geschichte des Brot-Werdens gleicht der Passionsgeschichte Jesu. Niemand ist so in die Erde gefallen, in die dunkle Einsamkeit wie Er. Niemand ist so aufgerieben worden wie Er. Und niemand hat das Feuer des Leidens so erfahren wie Er. Aber darum ist auch seine Fruchtbarkeit einzigartig und unvergleichlich. Niemand ist so Brot für die Menschen geworden wie Er. Und wie steht es mit uns, mit mir? Bin ich bereit, mich aufreiben zu lassen und auf dem Weg meiner eigenen Selbstwerdung, aber unter Umständen auch für andere durchs Feuer zu gehen? „Ihr seid Brot“ – das ist eine Einladung zu gemeinsamen Leben, zum Teilen, dazu, Nahrung zu sein für andere. Gleichwohl aber auch in dem Wissen, dass letztlich kein Mensch – auch kein uns noch so nahestehender – uns in unserer tiefsten Sehnsucht wirklich satt machen kann. Deshalb bleibt das Wort Jesu „Ich bin das Brot“ allezeit gültig. Denn nur in ihm haben wir Anteil am Brot des Himmels, am ewigen Gastmahl der göttlichen Liebe.

Ich bin … der gute Hirt

Dieses Wort zu hören, ohne sich gleich wie ein dummes Schaf zu fühlen, das nur dem Herdentrieb folgt, ist eine Herausforderung. Denken wir daran, was ein Hirte tut: er führt die Schafe auf gute Weiden, er kümmert sich um sie, er sorgt für sie, er beschützt sie, er kennt jedes einzelne ganz genau. All dies bedeutet also Hirte-sein. Hirte-sein kann aber auch Hingabe und Ernstfall bedeuten: einstehen für jemanden, hinstehen, das Leben geben. All dies ist in Jesus in einzigartiger Weise verwirklicht. Niemand kennt uns so wie er, und niemand kann jede einzelne von uns so beim Namen rufen wie er. Keiner kann uns so auf die Weide führen wie er, und niemand hat so sein Leben für uns hingegeben. Andererseits gilt aber auch: Ihr seid, d.h. wir sind Hirtinnen und Hirten füreinander – eine Einladung, auch selbst schöpferisch, kreativ, zu werden, eben weil die Sorge umeinander und Liebe zueinander erfinderisch macht. Stellen wir uns ruhig einmal ganz konkret vor, wie Leben sein kann, wenn wir wirklich füreinander Hirten und Hirtinnen sind. Und tauschen wir dabei in Gedanken ruhig auch mal die Rollen, so dass einmal ich das Schaf bin und der oder die andere der Hirt, und das andere Mal ich die Hirtin und der oder die andere das Schaf.

Ich bin … dein Arzt

Wann gehen wir zum Arzt? In der Regel dann, wenn es uns schlecht geht, wenn wir krank sind. Es kann auch seinen Sinn haben, zum Arzt zu gehen, wenn wir noch nicht krank sind – zur Vorsorge nämlich. Der kluge Patient beugt vor. Wir sollten uns nicht erst dann auf Gott besinnen, wenn es uns schlecht geht. Not lehrt zwar beten, heißt es. Besser ist es aber wohl, immer alles im Gebet Gott hinzuhalten – auch in guten Zeiten. Zu welchem Arzt geht man? Zum Allgemein­mediziner oder zum Facharzt. Wenn wir uns Gott als unseren Arzt vorstellen, sollten wir wissen: Der Herr ist der aller-allge­meinste Allgemein­mediziner, den es geben kann. Denn er ist nicht nur für die Seele und für unseren Geist zuständig, sondern eben auch für unseren ganzen Leib. Er kann uns in jeder Hinsicht heil machen – wobei das Heil, das er uns schenkt, nicht unbedingt mit unseren landläufigen Vorstellungen von Gesundheit übereinstimmen muss. Auch eine Krankheit kann uns im übertragenen Sinne heil machen, kann eine Herausforderung sein und uns neuen und ganz anderen Sinn finden lassen. Wie heilt Gott? Wie hat Jesus geheilt? Schauen wir hier z.B. auf die Heilung des blinden Bartimäus. Am Anfang steht immer die Frage: Willst Du gesund werden? Wollen wir wirklich gesund werden, wollen wir uns heilen lassen von unseren Gebrechen aller Art – seien sie körperlich, seelisch, geistig oder auch moralisch? Trauen wir Gott überhaupt zu, dass er uns heilen kann? Glauben wir daran? Erst wenn wir das für uns geklärt haben, greift Gott hilfreich ein – allerdings dann eben auch oft anders, als wir das erwartet haben. Machen wir ihm keine Vorschriften, sondern bleiben wir offen für sein heilendes Wort und sein heilendes Wirken an uns.

 

Ich bin … die Auferstehung und das Leben

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf – Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht – Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvoller Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Dieses Gedicht von Marie Luise Kaschnitz spricht von der Auferstehung mitten im Leben. Ja, es gibt sie: Kleine, alltägliche Ostererfahrungen: Leuchtende Kinderaugen. Ein Anruf von einem guten Menschen. Eine gute Nachricht, die den Tag bunt und ganz neu macht. Mitten im Gewohnten. Die Weckuhren, die in dem Gedicht so treffend den Alltag beschreiben mit seinen Zwängen und Vorgegebenheiten, sie ticken einfach weiter. Und trotzdem erscheint alles einen Moment lang „in geheimnisvoller Ordnung“. Wir sind hineingenommen in ein „Haus aus Licht“. Auch die Auferstehungsberichte der Evangelien erzählen davon, dass das ewige Leben schon jetzt beginnt – mitten im Leben. Wir dürfen gewiss sein, dass Gott selbst den Tod umfasst und verwandelt. Dass er stärker ist als alles Dunkle, alles Böse, alle negativen Kräfte. Und dass wir das schon hier und jetzt erfahren können: In den „kleinen Auferstehungen“ in unserem Leben. Ihren tiefsten Grund haben sie in der einen „großen“ Auferstehung: Denn Gott hat uns in Jesu Auferstehung ein „Haus aus Licht“ bereitet, dessen Trost und Kraft uns schon jetzt gegenwärtig ist. So setzt die eine „große“ Auferstehung unsere vielen kleinen Auferstehungserfahrungen ins rechte Licht.

 

Ich bin … bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt

Mit diesem Satz endet das Matthäus-Evangelium. Nach seiner Kreuzigung und nach seiner Auferstehung trifft Jesus seine Jünger in Galiläa, in ihrem Alltag, und spricht ihnen diese Worte zu: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt. Das ist sein Testament. Zusage und Verheißung, die nie wieder zurückgenommen wird, auf die wir uns verlassen dürfen, die gültig bleibt – immer und ewig. Er verlässt uns nicht, er ist immer da, er geht alle Wege mit uns. Darauf dürfen wir vertrauen – heute und alle Tage.

 

Von Sr. Philippa Rath OSB

 

Der Monat November ist von alters her ein Sinnbild für die Vergänglichkeit des Lebens. Die Natur wirft ihre Blätter ab und bereitet sich auf den Winter vor, und auch wir Menschen sind in dieser eher dunklen Jahreszeit verhaltener und nachdenklicher als sonst. Nicht umsonst liegen die Tage des Totengedenkens, das Allerheiligen- und Allerseelenfest und der Totensonntag im November. Gottlob ist es hierzulande immer noch weit verbreiteter Brauch, an diesen Tagen die Gräber zu besuchen. Das ist gut so, denke ich, denn es ist ein Zeichen dafür, dass wir tief im Inneren spüren, dass die Verstorbenen damit auch ein Stück weit in unserer Mitte lebendig bleiben. Deshalb ist der Friedhofsbesuch auch so wichtig – nicht für die, die uns vorausgegangen sind, wohl aber für uns selbst. Wir brauchen die Erinnerung, um zu wissen, worauf wir stehen und um weitergehen zu können in die Zukunft. In unserer Ordensregel, die Benedikt von Nursia vor inzwischen fast 1500 Jahren niederschrieb und nach der wir heute noch unser Leben ausrichten, steht ein Satz, der mir im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden und mein Leben geprägt hat. Er findet sich im vierten Kapitel, das mit dem Titel „Die Werkzeuge der geistlichen Kunst“ überschrieben ist und insgesamt 74 sehr konkrete Hinweise gibt, wie sinnvolles Leben gelingen kann. Der kurze Satz lautet: „Den möglichen Tod täglich vor Augen haben.“ Ein solches Wort mag erstaunen, zumal in einem Buch, das ganz dem Leben zugewandt ist und das Leben „in Fülle“ vermitteln will. Gehen wir dem Gedanken ein wenig nach: den möglichen Tod täglich vor Augen haben. Ganz sicher nicht gemeint ist damit, sich das vielfache Sterben und die unzähligen Toten eines Tages über den Bildschirm ganz buchstäblich täglich vor Augen zu führen und in die eigenen vier Wände zu holen. Solche Art „Memento mori“, wie das die Alten nannten, lässt innerlich eher abstumpfen, macht gefühllos und lässt uns am Ende kalt, wenn ein Mensch neben uns stirbt. Nein, der heilige Benedikt hat etwas anderes gemeint: den eigenen Tod, die eigene Endlichkeit nicht verdrängen, sondern ihr offen ins Auge blicken. Jeder Tag meines Lebens kann der letzte sein. Dieses Bewusstsein macht mich keineswegs depressiv, sondern im Gegenteil frei und unabhängig – unabhängig davon, etwas erreicht zu haben, jemand zu sein, viel zu haben. Leben im Wissen darum, dass jeder Tag der letzte sein kann, lässt mich anders leben: dankbarer, aufmerksamer für die kleinen und schönen Dinge des Alltags, aufrichtiger den eigenen Schwächen und Macken gegenüber, ja am Ende sogar friedliebender und menschenfreundlicher den anderen gegenüber. Insofern ist der Tod ein gutes Korrektiv für das Leben. Nutzen wir das Allerheiligen- und Allerseelenfest einmal zu einer solchen im wahrsten Sinne des Wortes weltverändernden Art „Memento mori“. Erinnern wir uns unserer Toten und denken wir dabei ruhig auch einmal an den eigenen Tod.

Von Sr. Philippa Rath OSB

Sommerzeit, Urlaubszeit, Zeit für Muße und Entspannung, vielleicht auch Zeit zum Sich-Gewahr-werden, zur Suche nach den eigenen Wurzeln und nach der eigenen Identität. Ich möchte Ihnen heute eine vielleicht etwas ungewöhnliche Ferienbeschäftigung empfehlen: das Sich-Erinnern. Das Wort „Erinnern“, „Erinnerung“ kommt vom „Inneren“, d.h. es hat zutiefst mit uns selbst zu tun. Erinnerungen sind ein Teil unserer selbst. Unser Gedächtnis ist dabei so etwas wie ein lebendiger Speicher – wie er genau funktioniert, das weiß die Wissenschaft bis heute kaum. Durch Anstöße, seien es Bilder, Worte oder bestimmte Reize, kann der Speicher, der vielfach auf unbewusste Weise wirkt, aktiviert werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei unter anderem unsere fünf Sinne. Sie sind sozusagen Gedächtnisträger und können gerade in Zeiten der Entspannung und der Ferien neu geschärft werden Wir sehen ein bestimmtes Bild, ein Gesicht, eine Landschaft – und erinnern uns. Wir hören einen bestimmten Ton, eine Melodie, ein Lied – und erinnern uns. Wir nehmen einen bestimmten Geruch oder Duft wahr – und erinnern uns. Wir erfühlen oder ertasten eine bestimmte Oberfläche, einen Stoff, eine Form – und erinnern uns. Wir schmecken einen bestimmten Geschmack, eine Nuance in einem Gericht oder einem Getränk – und erinnern uns. Was ist das, was sich da in unserem Herzen und in unserer Seele abspielt? Scheinbar längst Vergessenes kommt mit einem mal wieder an die Oberfläche, und wir erinnern uns unserer Gedanken, Gefühle und Empfindungen von einst. In der zeitlichen Entfernung können wir diese ordnen und bewerten und damit bekommen sie eine ganz neue Bedeutung – auch für unser Leben heute. Die Erinnerung stiftet also meine Identität, sie lässt mich zu dem werden, der ich bin. Das gilt für den einzelnen ebenso wie für Familien und Gemeinschaften, für Völker und Kulturen, für Epochen und Generationen. Deshalb ist das Austauschen von Erinnerungen so wichtig und notwendig – sei es in der Familie oder im Freundeskreis, sei es in der Gesellschaft als ganzer oder sei es in meinem ganz persönlichen Umfeld. Nutzen wir die Zeit des Urlaubs vielleicht in Ruhe auch einmal zu einem erinnernden Gespräch – mit uns selbst, mit anderen und vielleicht auch mit Gott. Denn auch Religion hat etwas mit Erinnerung, mit erinnerter Geschichte zu tun: mit der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Es lohnt sich, diese Geschichte wieder neu zu entdecken. Und so ganz nebenbei finden wir damit auch uns selbst.

Sr. Philippa Rath OSB