Im Lichtkreis Gottes leuchtet auch die Engelwelt auf, die in der Miniatur im Bild der Sterne angedeutet werden. In dieser Miniatur geht es um den Engelsturz, den gefallenen Engel Luzifer mit seinem Anhang, „die im heißgeliebten göttlichen Gut erschaffen waren.“
Hildegard sah, „wie aus dem Geheimnis des Thronenden ein großer Stern von starkem Glanz und leuchtender Schönheit hervorgeht und mit ihm eine große Menge hellstrahlender Funken, die mit diesem Stern zusammen nach Süden ziehen.“ Der große Stern ist Luzifer mit seiner Heerschar. Der Engel Luzifer, der jetzt Satan ist, war „bei seiner Erschaffung mit großer Herrlichkeit geschmückt, mit viel Ruhm und Schönheit angetan“. Er hat die Ehre, die er Gott seinem Schöpfer schuldete, auf sich selbst zurückgebogen. Er glaubte im Vertrauen auf sich selbst beginnen und vollenden zu können, was er wollte. Somit hat er sich quer gestellt, als er im Stolz den verachtete, der im Himmel herrscht. Er wollte Gott nicht anschauen, sondern suchte sich über ihn zu erheben wie über einen Fremden. Doch sofort beim Abwenden ihres Blickes erloschen alle und wurden kohlrabenschwarz. Luzifer hatte in sich selbst die innere Schönheit zerstört. Ein Wirbelwind trieb sie vom Süden zum Norden hinter den Thronenden in den Abgrund. Weiterlesen

Nachdem Gott in der vorangehenden Vision das Werk seiner Güte in Schöpfung und Heilsgeschichte offenbart hat, beschreibt er hier sein Heilswerk, das in den verschiedenen Etappen der Heilsgeschichte aus seiner Güte erwächst. Das Bauwerk erhebt sich aus dem Fundament des Glaubens an den dreifaltigen Gott. Gott und Mensch wirken im Heilsbauwerk zusammen. Die Vision gibt mit der Beschreibung der Grundmauern und Ecken des Bauwerkes einen grundrissartigen Überblick über das gesamte gott-menschliche Wirken. Weiterlesen

Der Turm des göttlichen Ratschlusses steht in der Mitte der leuchtenden Mauer des Heilsgebäudes. Der eisen farbene Turm stellt die heilsgeschichtliche Beschneidung in Abraham dar, der Turm den“ Vorauslauf des göttlichen Willens“, der auf das Erlösungswerk Christi und auf die Kirche hinweist. Im Turm des göttlichen Ratschlusses erblickt Hildegard fünf Gestalten, himmlischen Wirkkräfte oder Tugenden, die jede für sich unter einem eigenen Torbogen stehen. Keine Tugend besteht aus eigener Kraft, sondern sie sind ein hellleuchtender Schein, der von Gott her im Werk des Menschen aufleuchtet. Weiterlesen

Diese Miniatur zeigt nun im Einzelnen die fünf Tugenden im Turm des göttlichen Ratschlusses. Die „Liebe zum Himmlischen“ trägt auf ihrem Haupt eine Bischofsmitra und hat gelöstes helles Haar. Sie trägt eine Krone, ihr offenes Haar weist darauf hin, dass das Priesteramt von ehelicher Verpflichtung frei ist, weil es der vollkommenen himmlischen Liebe anhangen soll. Die Gestalt ist mit einem weißen Mantel angetan, der an den Säumen mit Purpur besetzt ist. Das bedeutet, dass die Gnade Gottes diese Wirkkraft mit dem Schimmer der Sanftmut umgeben und mit schönen Ornamenten der Liebe geschmückt hat. In der Rechten trägt die „Liebe zum Himmlischen“ Lilien und andere Blumen, d.h. sie gewinnt im guten Werk der Gottes- und Nächstenliebe den Lohn des ewigen Lebens und der Heiligkeit. In der linken Hand trägt sie einen Palmzweig. Und sie spricht: „Ich kann mich niemals zur Genüge an der inneren Freude sättigen, die in meinem Gott ist, o süßes Leben!“ Weiterlesen

Jenseits des Turmes des göttlichen Ratschlusses steht die Säule des Wortes Gottes. Sie ist der leuchtenden Mauer angebaut und von solchen Ausmaßen, dass das menschliche Auge sie nicht ermessen kann. Die Säule hat von oben bis unten drei scharfe Kanten, die in der Miniatur flächig wie aufgeklappt dargestellt sind. Sie stehen für die drei Heilsepochen. In der ersten Kante sitzen wie auf den Ästen eines Baumes die Ältesten: Abraham, Moses und Josua stellvertretend für alle Patriarchen und Propheten. Sie sitzen übereinander, jeder auf seinem eigenen Ast. Sie alle schauen staunend (Haltung der Hände) auf das, was das Wort Gottes in der Zukunft wirken wird. Weiterlesen

Innerhalb des Heilsgebäudes steht vor der Säule des Wortes Gottes auf dem Pflaster eine Gestalt, die stark vom Licht angestrahlt ist. Diese Wirkkraft nennt sich „ Erkenntnis Gottes“. Weder ihr Antlitz noch ihre Gewänder sind in dem hellen Glanz zu erkennen. Wie die übrigen Tugenden erscheint sie in Menschengestalt.
„Denn Gott schuf den Menschen kraft seiner Güte mit Vernunft, Erkenntnis und Einsicht, damit er Ihn mit innigster Liebe umfange, mit größter Hingabe verehre, die Trugbilder der Dämonen verachte und nur den liebt, der ihm eine derart große Ehre zuteil werden ließ.“ Mit der Offenbarung des Wortes Gottes ist die Tugend der Erkenntnis Gottes verbunden. Denn „innerhalb des Werkes Gottes des Vaters zeigt sich diese Tugend zur Erläuterung des Mysteriums des göttlichen Wortes.“ Weiterlesen

Nachdem das Geheimnis des Wortes Gottes „in der Säule des Wortes Gottes mit der Erkenntnis“ geoffenbart ist, tritt der Eifer der Liebe Gottes in dieser Miniatur offen in Erscheinung: ein massives, kahles, rotglühendes Haupt in der Mitte des Bildes , wo die beiden Mauern des Heilsgebäudes zusammentreffen, die leuchtende Mauer (Erkenntnis von Gut und Böse) und die Steinmauer (das rechte Handeln). Bewegungslos sitzt dieses furchterregende Menschenantlitz dem Mauerwinkel auf, der Leib ist von der Mauerecke verdeckt. Unbeweglich, erhaben über alles Irdische, furchterregend, ohne Haare, d.h. frei von aller unterwürfigen Schwäche – denn die Augen des Herrn sehen jede Ungerechtigkeit. Es besitzt drei Flügel von erstaunlicher Breite und Länge. Sie sind waagrecht ausgebreitet und gleichen „einer lichten Wolke“. Als Symbol der Stärke bedeuten sie „die Ausbreitung der Kraft des Dreifaltigen Gottes.“ Die drei Flügel stehen für die Kraft der Vergeltung, die sich gegen den Teufel und das Böse richtet. Weiterlesen

Die vorliegende Vision zum göttlichen Gesetz und zu den damit verbundenen „himmlischen Wirkkräften“ leitet zur Epoche des Neuen Bundes über. Im Bild der Mauer ordnet Gott durch sein Gesetz sein Volk. Deshalb heißt es: „Kein Gläubiger, der Gott demütig gehorchen will, zögere, sich einer menschlichen Obrigkeit zu unterstellen. Denn durch den Heiligen Geist ist die Regierung zum Nutzen für die Lebenden eingerichtet worden. Sie soll für die kirchliche Disziplin da sein und gläubig und fest anerkannt werden. Das wurde am alten Bundesvolk schon angedeutet.“ Weiterlesen

Gott offenbart sich im Erlösungswerk seines Sohnes als dreifaltig-einer. In der westlichen Ecke des Heilsgebäudes schaute Hildegard eine wunderbare, geheimnisvolle und äußerst starke Säule von dunkelroter Farbe. Sie steht für den dreifaltigen Gott. Vater, Wort und Heiliger Geist sind ein Gott in der Dreifaltigkeit, und diese Dreifaltigkeit besteht in der Einheit im Bild der vollkommenen Säule alles Guten. Sie durchdringt Höhen und Tiefen und beherrscht den ganzen Erdkreis. Die Säule ist dunkelrot, weil der Sohn Gottes sein Blut für die menschliche Sünde dahingab. Der Sohn, vom Heiligen Geist empfangen, vom Vater in die Welt gesandt, suchte nicht seine Ehre, sondern die des Vaters. Er erschloss den Zugang zur unerschöpflichen Tröstung des Heiligen Geistes. Weiterlesen

Eine weitere Säule jenseits der Dreifaltigkeit war für Hildegard so umschattet, dass sie weder ihre Stärke noch ihre Höhe erkennen konnte. Sie bezeichnet die Menschheit des Erlösers, der vom Heiligen Geist empfangen aus der Jungfrau als Sohn des Allerhöchsten geboren wurde. Die Menschwerdung Gottes übersteigt alle Erkenntnis des menschlichen Verstandes. „Deshalb müssen die Menschen, die das Himmlische ersehnen, glauben und dürfen nicht hartnäckig untersuchen, wie der Sohn Gottes, der vom Vater in die Welt gesandt wurde, aus der Jungfrau geboren worden ist, weil die menschliche Wahrnehmung die Geheimnisse Gottes nicht erkennen kann, als der Heilige Geist es offenbart, wem er will.“ Weiterlesen